Sonntag, 22. Januar 2006

Herbstlaub


So, das war es jetzt mit dem Laub und dem Grün an den Bäumen, das widererwartend doch noch recht herbstliche Wetter hat viel von den Bäumen gefegt, nicht von allen, nein, und das ist nun auch der Grund für emsiges Schaffen von Haus- und Gartenbesitzern. Die Attacke des Laubes hat Gallionen von Verteidigern mit interessanten Waffen auf den Plan gerufen. Laubsauger, Laubgebläse, elektrisch oder mit Spritmotor ausgestattet, die höllenlaut sind, fast so laut wie Rasenmäher und natürlich klassische Besen und Laubrechen, letzteres geht allenfalls noch als Anachronismus durch, verbrennt es doch nur Körperenergie des Fegers und nicht die gute, fett duch Steuermittel subventionierte Windenergie von norddeutschen Windparks, die den Horizont so schön modern machen, Zeitzeichen am Herbsthimmel, Abschreibungsrotoren für Biostromabnehmer, deren Intelligenz kaum über der eines durchschnittlich angepassten Akademikers mit linkem Ökogewissen liegen kann. Das Laub wird während des Fallens aufgefangen, Bäume werden geschüttelt, Zierobst vor dem Abfallen geerntet und entsorgt. Wer tritt schon gerne auf kleine goldene Äpfel? Regenrinnen müssen freigeschaufelt werden, zugegeben sinnvoll, wer will schon nasse Wände, aber wieso müssen verbleibende Restblätter einzeln aus Hecken gezupft werden? Ist es da nicht konsequenter gleich zu fällen und rauszureißen? Schließlich wird man bei dem üppigen Wachstum spätestens im nächsten Jahr das Geäst halbieren und ein weiters Jahr später aus Angst vor den Wurzeln, die das Kanalrohr im Garten demontieren könnten, alles abhacken und durch eine japanischen Krüppelwuchsformkonifere ersetzten, die so lebendig aussehen wird, daß sie sogar auf den meisten deutschen Friedhöfen als Grabbepflanzung erlaubt ist. Das Ganze wird noch durch den Elektroschredder gejagt, so daß alles zu Holz- und Zellulosemehl verdaut, entsorgt werden kann.
Meine Nachbarn haben das mit dem Rausreißen ernst genommen, nachdem in der gesamten Straße uniforme Hainbuchenhecken eine echte Form von floraler Geborgenheit für einige Jahrzehnte seit dem Krieg, in dieser sogenannten Siedlungsgegend, kreiert haben, einen netten Nistplatz für Amseln abgaben und in jeder Hinsicht englische Landschaftsgefühle aufkommen ließen, haben sie es gewagt und nun machen es ihnen immer mehr nach, sie reißen die bescheuerten Hecken einfach raus und ersetzen sie durch schmiedeeiserne und reinlich verzinkte Gitterkonstruktionen, hinter denen nun auch nicht mehr diese arbeitsintensiven Blumengartenanlagen sein müssen, nein, einfach Gras und zwar regelmäßig zurecht getrimmt, von Löwenzahn befreit und im Sommer wegen Schattenmangels reichlich mit Leitungswasser getränkt. Auch Mauern sind sehr beliebt, ungefähr bis Kniehöhe und am besten gleich verklinkert und versiegelt, das böse Moos wartet doch nur auf Angriffsflächen. Darauf drapiert man dann ein paar Kunststoffkübel, in denen garantiert staubgefäßfreie Sorten wie Geranien oder „fleißige Lieschen“ den Sommer dahin vegetieren, so bunt, wie die Plastikblüten aus einem türkischen Import-Exportgeschäft ...
Was sagt man dazu, schließlich werden wir alle Älter und wenn man älter wird, dann braucht man saubere, laub- und reisigfreie Lösungen. Die betroffenen Gärten erinnern so immer mehr an besagte deutsche Friedhöfe. Vorbereitung auf das baldige Ableben? Die Angst vor Pflanzen als Ausdruck der Angst vor dem Sterben?
Die Beseitigung des Laubes bedroht vielerorts den Bestand an Regenwürmern, die ja bekanntlich von abgestorbenem Pflanzenmaterial leben und dieses im Winter unter die Erde ziehen und sie damit wundersam natürlich durchlüften und düngen. Leider sind es nicht nur die älteren Mitbürger, welche bei Regenwürmern wohl an ihre eigene bald bevorstehende Zersetzung denken und deshalb lieber ganz auf so ein Art Lebewesen verzichten wollen, wird doch bundesweit gemäht was das Zeug hält. Noch Anfang November habe ich Rasenmäher an Autobahnen schreddern sehen, die Grasnarbe nämlich und den darauf verteilten Müll, der auf diese Weise wieder dekorativ ins Blickfeld der Vorbeifahrenden gerät. Greift knöchelhohes Gras den Asphalt oder gar die Autofahrer an? Müssen überall Bäume verschnitten und verstümmelt werden, die dummerweise auch zur Straße hin einen Ast haben? Muß man in jedem Falle davor sicher sein, daß bei Herbststürmen etwas auf die Straße fallen könnte? Muß die Begrünung zwischen den Autobahnfahrbahnen verbissenen und verkrüppelten Pflanzen aus überweideten afrikanischen Savannen gleichen und dies nur mit dem enormen Aufwand von mehrmaligem Abschneiden pro Jahr, denn hier regnet es ja gottlob häufiger und dadurch wächst es eben auch so schön.
Warum gibt es im sogenannten öffentlichen Raum so wenige „wildere“ Grünanlagen, in denen Wildkräuter einfach einmal blühen dürfen und die deshalb für die derweil bekanntermaßen stark bedrohten Schmetterlinge und deren Raupen neue Vermehrungsrefugien darstellen würden?

Wieso konzentrieren sich die Mitarbeiter des Grünfächenamtes und der Straßenmeistereien nicht mehr auf den Schutz von Pflanzen und dem Entsorgen von Müll?
Wahrscheinlich, weil so viele das gar nicht wünschen, sondern lieber auf tote Rasenflächen schauen, die durch lethargische Menschen von Laub befreit werden.
Somit ist das, was im öffentlichen Raum geschieht, ein Spiegel dessen, was die Leute in ihren eigenen Gärten treiben und von Herzen wünschen: Trieblosigkeit.
Dabei kann Gärtnern ja auch einmal etwas exotischer daherkommen, macht doch das milde Wetter der letzten Winter das erfolgreiche Anpflanzen von mediterranen Gewächsen wahrscheinlicher, so findet man durchaus Feigen- oder Fuchsienbäume in geschützen Vorgärten ...
Schön ist ja auch der neue japanische Dilletantengarten in meiner Straße, leider auch keine Hainbuchenhecke, aber schöne riesige Steine, zwischen denen Bambus sprießt, ein echter Blickfang, schade, dass es viel mehr Steine als Pflanzen sind und noch mehr schade, daß unter den Steinen eine Folie liegt, die das Wachsen unerwünschter Pflanzen aus der eh schon mit Schotter aufgeschütteten Fläche verhindert und eigentlich sehr bedauerlich, daß die ursprüngliche Eibenhecke zur Begrenzung des Nachbargrundstücks durch eine Mauer ersetzt wurde … Sieht aber schick aus, die ganzen Steine..., ein bischen wie auf einem Friedhof…, mal wieder, aber passend zum cremefarben Anstrich des neuen Eigenheimes.
Die besagte Nachbarschaftsstraße wurde übrigens einmal nach der Baumsorte benannt, die in vielen Grundstücken als Überbleibsel des ursprünglichen Heidesandwaldes stehen geblieben war. Kiefern, sehr große, die viele Nadeln abwerfen und Zapfen, „Kökschen“ genannt. Nun, das hat dann auch die älter und wohlhabender werdenden Anwohner herausgefordert, die meisten wurden in den letzten Jahren gefällt, was bedauerlicherweise durchaus erlaubt ist, da es sich um Nadelbäume handelt, die trotz ihres hohen Alters, anders als Laubbäume, unter keinem besonderen rechtlichen Schutz stehen.
Jetzt gibt es keinen Schatten mehr und bei den nun anscheinend heißer werdenden Sommern kann man sich ungeschützt besser unter ausgebauten Dachgeschossen grillen lassen.
Vielleicht wäre hier nun wieder eine Klimaanlage, die mit pseudoökologischer Windenergie betrieben wird, die einzig richtige Entscheidung.
Die Nadeln der Kiefern und das Laub der Birken, welche wegen der massenhaft anfallenden Blätter, die bei Feuchtigkeit so unangenehm am Asphalt festkleben, auch in den letzten Jahren nach und nach beseitigt wurden, mußte ich schon als Kind mit entsorgen helfen, bewaffnet mit einem im Verhältnis zu meinem Körper viel zu großen Besen, habe ich mich für 2 Mark Taschengeld abgequält, um die Blätter zusammen zu scharren und auf den Komposthaufen zu tragen. Diese oder eine ähnliche Sozialisation haben vielleicht auch die anderen Bewohner erfahren, da bleibt nur die Konsequenz: „Schneide ab, was dich so lange quälte“.
Ein Komposthaufen, das ist ja noch fast fortschrittlich, viele entsorgen ihr Laub lieber in der Mülltonne oder tragen es in den nahen Park, wo es in großen Haufen vor sich hinrottet, wohl in der Annahme, daß die Bäume dort mit ein wenig Grünschnitt und etwas mehr Laub durchaus glücklich sein könnten. Das geht aber nur wenige Jahre gut, dann ist der Waldboden meterhoch voller abgestorbenem Pflanzenmaterial und das gefällt dann weder den Bäumen, noch den Bodenpflanzen, noch den Spaziergängern ... noch deren Hunden.
Nun gibt es verständliche Ängste seitens der Hausbesitzer, im Falle eines Unfalles, eines unglücklichen Sturzes auf verottendem Laub auf dem Bürgersteig vor ihrem Haus, haftbar gemacht werden zu können, da es eine gesetzliche Pflicht gibt, das Trottoir von Laub zu reinigen … Das ist dann genauso wie mit dem Schneeräumen. Die Unkalkulierbarkeit der Gefahr für Passanten führt nach nächtlichen weißen Niederschlägen zu wahrsten Schneeräumorgien kurz nach sechs Uhr in der Früh, schnell bevor man selber zu Arbeit muß, noch den Schnee wegschaffen, der dann allerdings meistens eh bis Mittag geschmolzen wäre…, mit dem unvermeidbaren Schneeschieber aus dem Baummarkt oder ein paar Kilo Salz auf den Bürgersteig, schließlich gibt es ja keine Bäume oder Hecken mehr, die sich daran stören könnten.
Wäre es nicht angebracht den Passanten auch gesetzlich, etwas eigenverantwortliche Vorsicht zuzumuten, so daß nicht jeder befürchten muß, irgend etwas könnte zu unüberschaubaren Schadenersatzforderungen führen?
Dann wäre aber auch die gesetzliche Verpflichtung anzumahnen, daß jeder Grundstücksbesitzer oder Gartenflächeneigner etwas zur ökologisch sinnvollen Begrünung der Gegend beiträgt. Ein komplexes Unterfangen, wären doch verpflichtende Bürgerschulungen anzuraten, die die Angst vor dem offenbar für unkontrollierbar gehaltenen Sprießen der Pflanzen nehmen könnten. Da ist man dann schnell bei der klassischen Psychoanalyse: die Angst vor den wilden Pflanzen als Ausdruck einer diffusen Angst vor Zügellosem, das Grün als Allegorie der chaotischen Fruchtbarkeit. Der Destruktionstrieb will verzehren, zerstückeln und verdauen. Nun, die Deutschen sollen über einen analen Charter verfügen. Wo also ansetzen? Ökologische Gartenplanung in den Schulen? Gegen den Willen der neurotischen Eltern?
Meine Parole: weniger Singvögel fressende Katzen und dafür mehr Mut zum Baum, zum Strauch, zur Pflanze allgemein und insbesondere mehr Mut zum Wachsenlassen und keine Angst vor der Bürde der Arbeit durch grünende Gärten. Grüne Gärten und hohe Bäume machen glücklich, man muss nur zulassen wollen.
(Wer hätte gedacht, daß Laub so viel mit Angst zu tun hat...)