Mittwoch, 18. Juni 2008

Nan Hoover, wie Schwarz und Weiss, Licht und Schatten. Die Unendlichkeit der Dinge.


Nan Hoover, wie Schwarz und Weiss, Licht und Schatten. Die Unendlichkeit der Dinge.



Zugfahrt Köln-Berlin 16.06.2008

Tod von Nan Hoover vor einer Woche.
Trauerfeierlichkeit um 17.30 Uhr in Berlin Westend.

Die Nachricht von Nan's Tod erreichte mich letzten Donnerstag per e-mail.

Ich habe bei Nan Hoover mein Studium an der Kunstakademie Düsseldorf begonnen, als Wechsel von der staatlichen Hochschule der Künste in Utrecht, Niederlande.
Von Nan habe ich erfahren, als ich cira ein Jahr zuvor, 1992, den Bruder einer Feundin kennenlernte, der bei Nan mit seiner Partnerin zusammen Video und Fotografie studierte.

Ich habe nach Vereinbarung an einem Vormittag meine Sachen vor ihrem Büro im ruhigen Rheinflügel der Akademie Düsseldorf aufgebaut und sie schien wohlwollend zu sein, mit der Frage "Do you like parties?" gab sie mir die Zusage in ihre Klasse zu wechseln.
Ich erinnere mich noch an mein Erstaunen, dass sie scheinbar weniger nach der künstlerischen Arbeit beurteilte, als nach ihrem Eindruck vom menschlichen Charakterpotenzial und dass mein heiss ersehnter Wechsel an die angeblich berühmteste Kunstakademie der Welt so schnell und unspektakulär erfolgte.
Schon kurze Zeit später habe ich für sie privat gearbeitet, als künstlerischer Assistent, dann auch bei ihren Lehraufträgen an der Sommerakademie in Salzburg als Videoassistent, ich war Tutor der Klasse und habe viele wunderbare Stunden mit Nan gehabt, Geburtstage, Austellungen, Parties, Vernissagen, Zugfahrten, immer wieder schwer bepackt Aufbauten ihrer Installationen, Bohren, Schrauben, Anmalen, Sägen, Kampf mit Wänden. Spektakuläres Leben, immer wieder Neues und Fremdes.
Ich habe Holzplanken und Farbeimer geschleppt, 7,5 Tonner gefahren, Badezimmer geputzt und mich mit etwas anstrengenden Menschen auseinandergesetzt.
Es hat alles viel Spass gemacht. Es war reich und voller Esprit.
So war Nan's Leben, dazwischen gab es aber auch Stille und Ruhe, Schonzeiten vor neuen Projekten.

Nan's Leben war stark konzentriert auf die Kunst und deren Platzierung im gesellschaftlichen Kontext, ihre Arbeiten waren der Antrieb für ihr Dasein, dem ordnete sie viele sogenannte private Lebensaspekte unter, bis hin zu ihrer Gesundheit. Sie baute Austellungen auch unter starken Schmerzen auf.

Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie eine gute Geschäftsfrau war, sie hatte ein ausgeprägtes Ehrgefühl und wollte nicht alles dem Mammon Geld unterordnen. Als freizügiger und philantrophischer Mensch wurde sie häufig ausgenutzt und sie wusste das sehr genau.

Gemeinsames Arbeitsleben kann man es nennen, auch wenn ich nicht in Düsseldorf wohnte, war ich doch häufig auch ausserhalb des Akademiekontextes dort und habe an vielen professionellen Aspekten ihres Lebens teilgenommen. Sie kaufte mir einen Anrufbeantworter und meine damaligen Mitbewohner erinnern sich noch heute an lange Nachrichten über Projekte und Aufträge.
Mein Studium plätscherte dahin, Nan förderte mich im Rahmen Ihrer Möglichkeiten, ich nahm an Austellungen teil und bemerkte, dass mich vieles im Akademie- und Kunstbetrieb enervierte, aber nach den Erfahrungen in universitären Strukturen war es trotzdem ein neues Lebensgefühl.
Ich empfand mich noch als sehr jung und unreif, dieser Eindruck ist der Erkenntnis gewichen, dass ich nun, mehr als dreizehn Jahre später, nicht viel weiser geworden bin, nur etwas ernsthafter.

Nan war auch ein wenig eine intellektuelle und emotionale Mutter für mich, sie füllte damit eine vakante Stelle in meinen Beziehungsmustern. Auch deshalb hatte sie einen ernormen Einfluss auf mein Lebensgefühl. Das, was ich als das Sein im Dasein bezeichnen würde.
Sie sprach nicht viel über die Vergangenheit, aber man wusste schnell, dass sie ihre Rolle als attraktive sexuell aktive Frau vermisste und das Alter nur bedingt willkommen hiess.

Der Tabubruch hatte ihr privates Leben zeitweilig bestimmt, in einer Zeit, als man darüber sprach und es als Lebensgefühl propagierte, setzte sie ihre Ansprüche an ein selbstbestimmtes Leben als Frau und Künstlerin konkret um. Dies war nicht möglich ohne den Bruch oder die Beschädigung wichtiger emotionaler Beziehung. Sie bedauerte dies zeitlebens.

1994 machte sie mich zu ihrem Meisterschüler. Diese Auszeichnung dürfte im Allgemeinen eher ein formaler Akt sein, ich denke heute, dass es bei mir die Feststellung einer Lebensrealität war.
Was uns verband waren auch Wesensverwandtschaften.
Unachgiebigkeit, Starrsinn, Kampfesbereitschaft, Verträumtheit, Stolz, Selbstbewusstsein und Verwundbarkeit teilten wir, jedenfalls manchmal.

Wir wahrten dabei eine Distanz und Abgrenzung, die unserem grossen Altersunterschied und unseren völlig unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen gerecht wurde. Auch deshalb konnten wir Schwächen aneinander schätzen.

1995 wurde unsere Zusammenarbeit nochmals enger, ich wurde ihr Assistent bei einer Theaterproduktion in Bremen.

In deren Verlauf kam es für mich völlig überraschen zum Zerwürfnis, sie fühlte sich schon zu Beginn von mir nicht richtig behandelt, sie fand ich sei unzuverlässig.
Ich nahm eher wahr, dass ihr die Kosten für meine Arbeit durch Zugfahrten und Hotelaufenthalte über den Kopf wuchsen. 
Als ich während der Produktion erkrankte und fiebernd im Bett lag, hat sie mich telefonisch über meine Kündigung unterrichtet. 
Ich wehrte mich und fiel in Ungnade.
Sie verweigerte mir an der Akademie die Unterschrift zum nächsten Semester. Der Abschluss des Akademiebriefes schien unmöglich, ich suchte eine neue Klasse, ausweglos. Dann intervenierte Nan in der Einsicht, dass diese Angelegenheit nicht meine akademische Laufbahn tangieren dürfte. Im Laufe des kommenden Semsters verliess ich die Akademie mit dem Abschluss und der Gewissheit nun künstlerisch auf mich selbst gestellt zu sein. Trotz ihrer kategorischen Haltung, ist sie über ihren Schatten gesprungen und hat es geschafft die Dinge zu differenzieren.

Wir haben uns danach noch wenige Male gesprochen, beide voll gekränktem Stolz und dem Unvermögen unsere Grenzen zu überschreiten, aber dennnoch voller warmer Sympathie füreinander, was kein Wiederspruch sein muss.
Es gibt nichts zu bereuen, wohl zu bedauern, dass das Leben merkwürdige und unergründliche Wege geht.

Ich habe Nan als Menschen geliebt und immer in meinem Herzen bewahrt. Ich weiss, dass es bei ihr auch so war.
Sie hat mein Leben sehr geprägt und wirkt auch heute noch in meinem Denken und Fühlen mit. Ihre Kunst und das was ich ihren unbrechbaren Willen zur Selbstverwirklichung nennen möchte, halte ich in meiner Erinnerung wach.

Ich bin mir sicher, dass man sie als Künstlerin und exzeptionellen Menschen in Erinnerung behalten wird.
Sollte es Erlösung geben, so wünschen wir sie allen, die wir lieben und liebten.
Ich bin mir sicher, dass Nan Erlösung erlagen wird.

Würde ich sie irgendwann einmal wiedertreffen, so würde sie mich als erstes fragen: 
"Are you working Hagen?" Und ich würde sagen: "Yes Nan, I am working."

Nan ist der erste Todesfall seit Jahrzehnten in meinem Freundeskreis und ich stelle fest, dass ich ernsthaft beginne über den Tod nachzudenken, auch wenn ich zuvor manchmal darüber gesprochen habe ...
Ich bedaure, dass es keinen Grabstein geben wird, an dem ihre Schüler, Bewunderer und Freunde in stillem Gedenken Blumen hinterlegen könnten.

Nan wird sich dabei etwas gedacht haben, das ist sicher, denn auch wenn sie sehr spontan wirken konnte, verlor sie nie den grossen Plan aus den Augen. Ihren grossen Plan. Das Leben, die Kunst, die Liebe, der Tod und die Unendlichkeit.

Alles gehört zusammen, wie Schwarz und Weiss, Licht und Schatten.

Wer wusste mehr darüber als die Küstlerin Nan Hoover.