Donnerstag, 29. August 2013

Strandbad Wannsee




Das Berliner Strandbad Wannsee erreicht man, wenn man von der S-Bahn kommenden an der Haltestelle Nikolassee die im Volksmund genannte Spinnerbrücke überquert. Unter diese verläuft die A 115, auch als ehemalige Avus Autostrecke bekannt. Man geht am Rasthof Grunewald vorbei, nicht ohne mit tellergroßen Augen, die dort zu fast jeder Tageszeit herumstehenden Motorräder zu bestaunen. Der dortige Motorradtreffpunkt ist in Berlin allseits bekannt und am Wochenende parken die von den Besitzern aufgemotzten Prachtstücke in Dreierreihen vor der links der Straße liegenden Gastronomie. Warum die Motorradspinner sich hier in Scharen treffen ist etwas unklar, scheint sich aber gut und gerne dem männlichen Verhaltensritual „Schau dir meinen an, der ist größer als deiner“ zuordnen zu lassen. Vom Rasthof läuft man noch fünfzehn Minuten durch den Grunewald. Am Wochenende auch schon an am Straßenrand illegal parkenden Fahrzeugen der Strandbadbesucher vorbei, die auf dem zu klein geratenen offiziellen Parkgelände rechts vor dem Bad keinen Platz gefunden haben oder aber ihr Prachtauto zur Freude der Passanten und der Politessen einfach etwas exponierter unter einem absoluten Halteverbotsschild platzieren wollten.

Der Eingang des Strandbades ist unauffällig. Ein großer Platz vor dem Kassenbereich ist mit Bänken ausgestattet. Sein Rad darf man an einigen merkwürdig aussehenden Metallgittern anschließen. Aber auch nicht an allen. Es gibt Warnhinweise, dass es an manchen Stellen untersagt ist. Dabei bleibt im Dunklen, was der Grund dafür sein könnte. Feuerwehrzugänge und Fluchtwege sehen in einem Waldgelände vielleicht anders aus, als man denken würde. Es gibt mehrere Eingänge, die mit Kassen ausgestattet sind, von denen aber nicht alle besetzt sind. Es staut sich gerne mal, denn die Rechneranlage und die Ticketdrucker scheinen Störungen zu haben. Dann starrt das Personal sehr konzentriert auf den Monitor und nichts geht mehr. In der Schlange realisiert man schnell, dass unter den Strandbadbesuchern einfach alles vertreten ist. Die Gespräche sind teilweise erstaunlich. Es wird auch mal unverhohlen über Wildfremde in der Schlange hergezogen, ohne auch nur ansatzweise darauf bedacht zu sein, dass die Betroffenen es nicht hören können. Vor einem Sonnentag am See scheinen die Leute sich gerne unbefangen auszutauschen. Das Ticket benötigt man am modernen Durchlaßdrehkreuz nach der Kasse, wo man es in einen Barcode-Leser halten muß. Danach kann man es wegwerfen, am Ausgang benötigt man es nicht mehr. Ein System, dass es für die gesamten Berliner Bäderbetriebe gibt. Dabei müssen erstaunliche Mengen von bedrucktem Papier pro Tag anfallen. Dahinter folgt eine bebaumter Platz mit Bänken, zur Rechten steht das modernistische Verwaltungsgebäude des Bades und weiter vorne, zum tiefer gelegenen eigentlichen Gebäude des Strandbades auf Seeniveau hin, gibt es einen kleinen Schmuckteich und Bodenschachbretter mit Riesenfiguren.

Eine sehr idyllische Kurbadatmosphäre stellt sich ein. Man läuft auf den Wannsee zu, der den ganzen Horizont einnimmt. Hält man sich jetzt schon weiter rechts, wird man mit Hinweisschildern zum FKK Bereich geführt. Das Gebäude des Strandbades, welches in seiner jetzigen modernistischen Fassung Ende der goldenen Zwanziger errichtet wurde, kann man über große Freitreppen, die auf einen Untergang zuführen gewissermaßen unterschreiten. Die riesigen Umkleidekabinen und WC-Anlagen befinden sich im ersten Stock und darüber gibt es weitere Sonnenterrassen. Auf Seeniveau mit ausgedehntem hellem Ostseesandstrand befinden sich weitere WC‘s und Duschen, im bekleideten Badebereich sogar ein Friseur, ein Schönheitssalon und ein Café-Bistro. Ein weiteres Selbstbedienungscafé mit Stehtischen und Sitzgelegenheiten findet sich auch am rechten Ende des Komplexes, wo es den Getränke- und Nahrungsstützpunkt des dortigen FKK Bereiches darstellt. Der FKK Bereich ist durch einen größeren Sichtschutz vom Bekleidungsbadebereich getrennt und zeichnet sich durch eine etwas geringere Frequentierung aus. Der Nacktbadeabschnitt beginnt mit einer sehr alten und großen Erle, welche auf den Badestrand Schatten spendet. Danach läuft der Strand am Gebäude vorbei und geht dann in einen etwas wilderen Abschnitt über, auf dem Dünengrasinseln wachsen und ein paar Trauerweiden am Wasser stehen. Hat man sich in der recht dichten Menge von Menschen ein Plätzchen gesucht und sein Handtuch ausgebreitet, wird einem schnell klar, dass die Stimmung so ist, wie man sie sich in einer FKK Kolonie schon immer vorgestellt hat. Es gibt eine schwarzbraune Seniorenfraktion, die, da offenbar Frühaufsteher, ganz dicht am Wasser, ihre Grilliegen an Premiumpositionen aufgebaut haben. Ihre Hautfarbe stellt ein changierendes rötliches Schwarzbraun dar, welches an Caput Mortuum erinnert. Es soll die Farbe von Schattenmorellen sein oder dem getrockneten Blut von Geköpften ähneln. An manchen Hautfalten der gegerbten Haut dürfte aber bereits ein reines Beinschwarz vorliegen, welches künstlich aus gebrannten Knochen hergestellt wird, hier aber höchst natürlich in jahrelangem Sonnenbaden entstanden ist. Neben den dunklen Senioren gibt es eine große Menge von Schwulen aller Altersklassen, die entweder alleine oder in Gruppen auf dem Sand sitzen und liegen. Die meisten sind nackt, aber es gibt auch immer wieder welche, die mitten im FKK Bereich mit Badehose rumliegen, welche als modisches Accessoire den Inhalt betonen und reizvoller darstellen soll. An den Wochenenden und in den Ferien auch wochentags gibt es schwarz bekleidetes Sicherheitspersonal, welches paarweise darüber wacht, dass im FKK Bereich auch alle ihre Hosen ausziehen. Die Armen laufen dann in voller Montur durch den heißen Sand und müssen schwitzend anderen erklären, dass sie auch ja ihre rasierten Genitalien entblößen müssen. Sie wenden sich auch regelmäßig den WC Anlagen oberhalb des Nacktcafés zu, da sich dort eine Art bizarre schwule Cruising Area befindet. Da ist es ganz entgegen der sonstigen Verfassung solcher Orte picobello sauber und großzügig freundlich lichtdurchflutet. Sobald das Personal auf seiner Runde entschwunden ist, sind die Badehosen wieder an und das Cruisen auf der Terrasse und im WC Bereich geht weiter, sofern es überhaupt unterbrochen worden ist. Die schwulen Badegäste sorgen durch die räumliche Nähe für eine interessante akustische Beschallung mit Dialogen über die letzten Parties, die besten Freunde, die letzten Sexdates, die neue Wohnung, der neue Job, den neuen Liebhaber und den gerade auf dem Klo einem Pornostar verabreichten Blow-Job. Junge spanische Schwule selektieren die helleren westeuropäischen Muskelmänner und sind mit ihren Handies eifrig dabei auf einem ortsbezogenen Cruising-Portal Dates auf dem Strandbad Klo zu verabreden. Überhaupt haben alle ihre Smartphones zumindest zeitweilig in der Hand. Auch die beiden Zahnarzthelferinnen auf der anderen Seite, die mit gespreizten Beinen mit Blick auf die von Männern umstandenen Stehtische des Nacktcafés liegen und sich über ihr berufliches Fortkommen unterhalten. Dabei erörtern sie für Stunden, ob ihre Kolleginnen nicht doch mit ihren Chefs schlafen und warum sie selber immer nur am arbeiten sind, die neu eingestellte langhaarige Blondine einfach immer krank gemeldet ist und keiner dies zu monieren scheint. Die Redundanz dieses und anderer Gespräche läßt sie bei Bedarf irgendwann in den akustischen Hintergrund rutschen. Es ist wie mit der schwach herüberhallenden Discomusik der Ferienanimation für Kinder und Jugendliche, welche auf einem Steg mit Riesenrutsche weit entfernt im bekleideten Badebereich stattfindet. Man bemerkt sie erst wieder, wenn sie eingestellt wird.

Unmittelbar am Seeufer sitzt ein dickliches schwules Pärchen. Der eine hat sich einen der herumstehenden Strandkörbe genommen, der andere sitzt ihm zu Füßen auf seinem Handtuch. Sie haben eine voluminöse Tasche dabei, aus der sie fortlaufend Leckereien, wie Wurstbrötchen und Käsewürfel zaubern. Bei regelmäßig eingelegten Kaupausen liest der eine dem anderen aus der Tageszeitung vor. Sie scheinen gemeinsam Kreuzworträtsel zu lösen. Ihre Körperfarbe changiert zwischen Wandweiss und Krebsrot. Ein schöner Kontrast zu den rechts daneben liegenden durchgegarten Senioren. Links daneben befindet sich eine der direkt am Wasser in regelmäßigen Abständen befindlichen Duschen, aus denen eiskaltes Leitungswasser fließt. Eine sinnvolle Einrichtung, da der See bei längeren Schönwetterperioden und ungünstigem Wind im Uferbereich des Bades eine gehörige Menge von auf der Wasseroberfläche treibenden Algen und Hautfetten aufweisen kann. Der Wannsee ist an die Havel angeschlossen, aber offenbar ist die im Sommer zunehmende Menge von mit Schredderpropeller-WC-Anlagen ausgestatteten Privatbooten dann doch etwas viel für das Gewässer. Ansonsten kann man sich aber über die Wasserqualität nicht beschweren, insbesondere, wenn man circa fünf Minuten ins Wasser gelaufen ist und den sogenannten Schwimmerbereich erreicht hat. Dahinter liegen große Bojen, bis zu denen sich die Freizeitboot bewegen dürfen und dort gerne ankern. Sie eignen sich hervorragend um eine Schwimmstrecke abzumessen, einen verstohlenen Blick aus dem Wasser auf die Menschen an Deck zu werfen und zu schauen, was die so treiben. Die Duschen werden auch von solchen Badegästen genutzt, die gar nicht schwimmen gehen und sich in der Hitze einfach von Zeit zur Zeit abkühlen müssen. Die unfreiwillig auftretenden Halberektionen der Männer, die auf dem Bauch gelegen haben, lassen sich damit gut im Handumdrehen erweichen.

Bei so viel Nacktheit und Nähe muß der männliche Körper reagieren. Ein echter Vorteil bei den Damen, die keine sichtbaren Veränderungen aufweisen. Das Angebot des FKK Cafes umfaßt alles was das Herz des Großstädters zu begehren scheint. Angefangen bei einem breitgefächerten Sortiment von Heißgetränken, über Limonaden und Säften, bis hin zu eine Vielzahl von alkoholischen Getränken, bei denen Bier am erfolgreichsten zu sein scheint, wenn man die vielen großen 0,5 Liter Becher in den Händen der zumeist männlichen Kunden betrachtet. Diese stehen gerne an einigen Stehtischen vor dem Ausgabebereich des Cafes und reden stundenlang über Gott und die Welt. Dabei ist sicherlich auch das ein oder andere alkoholfreie Bier dabei, was bei dreißig Grad sicher empfehlenswerter sein dürfte. Allerdings läßt sich die Cruising Runde eine Etage höher mit einem echtem Bier viel leichter einleiten. Bei den zusammenstehenden Gruppen scheinen sich Heteros mit Homos zu mischen, eine interessante Mischung, die man so, besonders nackt, wohl nirgendwo antreffen kann. Einzig die Damen, ob mit oder ohne Begleitung gekommen, verbleiben zumeist lieber auf ihren Handtüchern und Strandkörben. Sie holen sich aber gerne mal ein Stück Obstkuchen, einen Brezen oder einen Tunfischsalat an ihren Platz. Die opulenten Strandkörbe kann man am Eingang des Bades mieten. Macht man dies ordnungsgemäß, dann verfügt man über ein Fähnchen, welches sich sichtbar als Zeichen der Legalität am Korb festmachen läßt. Regelmäßig Lautsprecherdurchsagen weisen darauf hin, dass das Belegen und Benutzen der Körbe ohne Fähnchen und Leihgebühr untersagt ist. An weniger stark frequentierten Wochentagen, scheint die Mehrheit der Strandkorbbenutzer im FKK Bereich kein Fähnchen zu haben, was dann aber auch keinen wirklich zu stören scheint.

Am Essen der Besucher sind die nahezu parasitär wirkenden Stockentengruppen interessiert. Sie torkeln regelmäßig lustlos durch den Sand vorbei und verweilen kurz mit schmachtendem Blick vor den an ihrem Weg liegenden Sonnenanbetern. Mit Erfolg, wie sich versteht. Der ein oder andere rückt ein wenig Brot heraus oder verfüttert seine letzte Nektarine, die aber nur halbherzig durchgekaut und wider ausgespien wird. Hat man einmal mit dem Füttern begonnen, dann erscheinen wie durch ein Wunder dutzende weitere Enten und man weiß, was man beim kommenden Besuch im Bad unterlassen wird, vorausgesetzt, dass man zehn Stockenten um sich herum nicht doch für niedlich hält. Viele Besucher verabreden sich im Bad. Deswegen kann man im Laufe eines Sonnentages immer wieder Begrüßungsszenen mit Sätzen wie „Schön, dass du da bist!“, „Mensch, du auch hier!“, „Ich wußte, dass ich dich hier finde!“, bis hin zu „Kennen wir uns nicht?“, „He, warst du nicht auch bei Dingsda?“, „ Ach so, ja, ich erinnere mich!“, „Mensch, wir haben uns ja schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen!“, erleben.

Ab dem frühen Nachmittag wird es natürlich deutlich voller, weil dann auch die Berufstätigen ins Bad strömen. Geöffnet ist recht lange. An regulären Tagen auf alle Fälle immer bis zum nahenden Sonnenuntergang. Eine Stunde vor Schließung, manchmal auch etwas früher, wird per Lautsprecherdurchsage auf das Ende hingewiesen, und dass Gehbehinderte, Rollstuhlfahrer und Kinderwagenbesitzer bitte rechtzeitig vor Schluß das Bad verlassen mögen. Die Strandkorbbesitzer werden aufgefordert ihre Fähnchen zurückzubringen, damit sie ihren hinterlegten Pfand zurückerhalten. Das Personal ist berechtigterweise darauf erpicht mit Dienstschluß auch nach Hause zu kommen. Die scheppernde Stimme des Ansagers klingt unerbittlich und etwas dramatisch. Und den Badegästen steht noch der Weg in die Stadt bevor.

Also mit Auto, Rad oder S-Bahn und das kann bekanntlich etwas dauern, bei den enormen Ausdehnungen des Berliner Stadtgebietes.

Das Strandbad Wannsee kann man natürlich auch ganz anders sehen, je nachdem, wie, wann und warum man hin geht. Es ist immer anders. Es ist aber auf alle Fälle einen Besuch und seinen Eintritt wert.


© Hagen Rehborn 2013

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