Montag, 31. Juli 2017

Schön

„Sind Sie schön?“
„Was meinen Sie. Ich sitze hier und weiss nicht, was Sie meinen.“ „Nun die Frage lässt sich nur schwer präzisieren. Ich möchte wissen, ob Sie sich selbst schön finden und was Sie darüber denken, dass andere Sie schön finden.“
„Ich halte mich selbst nicht für schön, ich meine, das ist eine Frage, die ich mir wirklich nicht selbst stelle.“ „Aber andere halten Sie für schön, das wissen doch sicherlich als begehrte
Darstellerin von schönen und starken Frauen.“ Sie schaut irritiert. Er zieht die Augenbraun nach oben. Eine kleine Pause entsteht. „In vielen Ihrer Rollen stellen Sie sehr attraktive Frauen dar, das wäre nicht möglich, wenn Sie nicht im tatsächlichen Leben auch eine attraktive Erscheinung wären.“ „Ja, wenn Sie das so sehen. Für mich hat das keine große Bedeutung, denn ich bin so, wie ich bin, anders kenne ich mich nicht, was soll ich also dazu sagen. Es gibt mich so, wie ich bin. Meine Erscheinung ist eine Sichtweise. Was ich sonst bin oder darstelle hat ja nur bedingt etwas mit der Realität zu tun. Ich meine, denke Sie darüber nach, ob sie ein attraktiver Mann sind?“ „Es geht hier ja um Sie, aber wenn es eine Rolle spielt, dann würde ich sagen, ich denke sehr wohl über meine Wirkung auf andere nach, schon berufsbedingt. Insofern glaube ich auch an eine Realität, nämlich die, in der wir uns beide befinden.“ „Gut, ich glaube nicht, dass es diese Unterscheidung gibt. Ich meine auf einem Filmset bin ich ja auch privat, aber auch beruflich unterwegs. Sie sollten dann in erster Linie eine Rolle im Film sehen können, die mich nicht privat zeigt, aber trotzdem bin ich ja auch im Privatleben Schauspielerin von Beruf, so wie Sie in Ihrem Privatleben auch Journalist sind und Ihre private Ausstrahlung auf andere auch etwas mit der Frage Ihres Berufes zu tun hat. Ich kann da keine wirkliche Unterscheidung sehen. Im Übrigen haben Sie nicht preisgegeben, zu was für einem Ergebnis Sie kommen, wenn Sie über Ihre eigene Attraktivität nachdenken. Halten Sie sich für schön?“ Sie räuspert sich. „Nein, ich halte mich nicht für schön.“ Er hüstelt. „Sie nehmen sich also als attraktive Frau wahr, weil Sie beruflich für die Darstellung schöner und starker Frauen gefragt sind und dies auch eine unmittelbare Auswirkung auf Ihre private und somit wiederum allgemeine Attraktivität hat.“ Sie greift sich ans Ohr. „Gott, sie haben nun also Ihr Thema gefunden und ich muss Ihnen da jetzt zustimmen, sonst komme ich in unserem Gespräch nicht dem nach, was Sie unterschwellig zu erwarten scheinen.“ Sie hüstelt und beugt sich nach vorne. „Es ist mir egal, was Sie über meine Attraktivität und Ihre eigene oder auch die anderer Leute denken. Was soll denn diese Attraktivität sein, bitte schön? Er lächelt versteinert. „Nun, Attraktivität bewirkt Dinge, die wir uns wünschen, leichter umzusetzen. Attraktive Menschen haben mehr Erfolg und können leichter das tun, was sie in ihrem Leben beabsichtigen.“ Sie klopft mit der Hand auf ihren Oberschenkel, der in einer hellen Stoffhose steckt. „Ach so, daher weht der Wind. Und Sie sind sich mit allen Klatschblättern dieser Welt darüber einig, was sich als attraktiv bezeichnen lässt und welche Personen mit welchen Eigenschaften dazu gehören?“ „Ja, es gibt dazu wissenschaftliche Untersuchungen. Sowohl zu der Frage, was in bestimmten Kulturkreisen als attraktiv angesehen wird, als auch, welche Eigenschaften das persönliche Fortkommen beflügeln. Damit haben sich Psychologen und Soziologen beschäftigt, aber das wissen Sie ja sicherlich auch.“ Seine Tonlage wirkt müde. „Und ich kann mir nicht vorstellen, dass Ihnen nicht klar sein könnte, dass Ihre Schönheit Ihren beruflichen Erfolg gerade in diesem Berufsfeld, in dem es ja immer und in erster Linie um das Aussehen geht, nicht unterstützt und befördert hätte.“ „Ich halte ja von akademischem Denke und Handeln nicht viel. Das was an Universitäten geschieht ist mir sehr fremd und ich kann es beurteilen, weil ich da auch einmal ein paar Jahre versucht habe mich selbst und andere zu beeindrucken. Soziologen und Psychologen sind mir da ziemlich egal. Solche Untersuchungen stillen nur unser Bedürfnis nach einer Objektivität, die es nicht gibt. Es wird bewiesen, was bewiesen werden soll. Das hat insbesondere nicht viel mit mir und meinem Aussehen zu tun, sondern Sie zitieren so etwas einfach nur, weil sie denken, dass Sie damit eine Art unschlagbare Sachlichkeit, eine Art Referenz zur Realität abliefern können, die Ihre Argumente unwiderlegbar zementiert. Das ist aber leider alles Quatsch. Sie wissen es nicht, Sie wollen einfach nur glauben, dass Dinge, die andere vermeintlich herausgefunden haben, unschlagbar überzeugend sind. Na gut, ich bin vielleicht schön. Das sagen die Leute zu mir oder aber sie denken es nur ohne es mir zu sagen. Ich hatte Glück, meine Gesichts- und Körperproportionen kommen den Anforderungen an das, was man in unserem Kulturkreis als schön bezeichnet, nahe.“ Sie pausiert für einen Augenblick und schaut an sich herunter. „Es ist so, weil sie es sich so wünschen und ich habe meine Ruhe. Ich schäme mich nicht dafür von anderen als schön bezeichnet zu werden. Aber ich empfinde diesen Umstand nicht für mich persönlich in der Betrachtung meiner Person vor dem Spiegel oder in den Reaktionen meiner Umgebung auf mich. Ich denke, das Aussehen hat einen Anteil an der Art, wie ich als Person sowohl beruflich, als auch privat durchs Leben komme, aber die Art wie ich denke und die Dinge, die ich leisten kann, sind meiner Meinung nach wesentlich einflussreicher auf das, was mit mir in dieser Welt geschieht. Schauspieler sehen ja nicht nur aktiv irgendwie aus, also in einer Rolle, sondern sie sprechen ja auch einen Text und transportieren damit Ideen eines Autors.“ Sie beugt sich nach vorne und trinkt einen Schluck Wasser aus dem bereitstehenden Glas auf dem Tisch vor sich. Er lächelt. „Schön und sie gestehen mir zu, dass Ihre berufliche Laufbahn anders verlaufen wäre, wenn sie nicht schön und attraktiv wären, sondern wenn sie unscheinbar oder gar hässlich wären?“ Sie atmet hörbar ein. „Ja, wissen Sie, ich verstehe nicht, wohin dieses Fragen und dieses Thema in diesem Interview führen sollen. Wenn ich nun also schön wäre und Sie auch, dann hätten wir Ihrer Meinung nach nun einen Konsens erzielt, der unser Gespräch in die nächste Runde und zum nächsten Themenkreis führt? So viel Gerede über Attraktivität.“ Sie atmet hörbar aus. „Sie glauben also, dass wir in einer Leistungsgesellschaft leben und die, die leistungsfähiger sind, bessere Chancen haben ihre Wünsche umzusetzen?“ „Um Gottes Willen, wie kommen Sie denn jetzt darauf?“ Ihre Stimmlage ist etwas angespannt. „Ich meine, was weiss denn ich, wie die Dinge funktionieren. Das wissen Sie ja auch nicht. Manches ist Zufall, manches hat mit Empfehlungen zu tun. Manches wegen mir auch mit dem Aussehen einer Person und vieles mit Freundlichkeit und Wohlerzogenheit. Wenn sie den richtigen Ton anschlagen in unserer Gesellschaft, dann kommen sie meistens auch leichter ans Ziel ihrer Wünsche.“ Sie atmet hörbar aus. Er fasst sich ans Kinn. „Und das Ziel ist die Vermarktung, also z.B. die Vermarktung ihres guten Aussehens, weil das bringt Kinobesucher und DVD Käufer und das bringt Presse, sonst säßen wir ja hier nicht, oder? Ich meine, ist Ihnen das nicht klar, dass Ihre Schönheit zu Geld gemacht wird, weil Sie sich vermarkten lässt.“ „Aber da kann ich doch gar nichts für, ich mache doch keine Kosmetikwerbung, ich mache gar keine Werbung!“ „Nah doch, Sie werben für sich als Schauspielerin. Ihre Selbstvermarktung beginnt in Ihren Filmen. Das kann dann natürlich weiter gehen, indem der Filmverleih Ihr Auftreten vermarktet und das Filmstudio und der Regisseur.“ „Aber ich habe doch viel mehr vom Regisseur als der von mir und meinem bescheuerten Aussehen. Das was Sie hier betreiben ist doch nichts anderes als eine Kapitalismuskritik. Ich denke, da sitzen wir doch alle im gleichen Boot. Dieser Sender ist eben auch Teil des kapitalistischen Systems. Und ich wäre die letzte, die behaupten würde, dass dieses System nur Vorteile hätte. Ich denke, wir alle leiden doch auch unter der ständigen Notwendigkeit unser Fortkommen zwecks Gehalts- und Einkommensgenerierung zu organisieren. Es gibt doch kaum noch Stellen in unserem Leben, wo es nicht um Geld ginge. Das ist perfide, aber ich bin Schauspielerin, wie soll ich dagegen halten? Und warum sollte ich das auch tun? Ich bin doch keine politische Aktivistin. Sondern Schauspielerin. Und Sie haben mich eingeladen, weil sie offenbar mit einer Person, die Schauspielerei betreibt, sprechen wollten. Das machen Sie natürlich nur, weil Sie so ein wahnsinnig kapitalismuskritischer Journalist sind. Ich denke nur, dass Sie da lieber in der Redaktion eines Politmagazins arbeiten sollten.“ Er schaut ernst. „Aber Ihre Filmrollen sind doch auch systemkritisch, wenn ich mich nicht irre. Ich meine, Sie spielen doch ausgesucht selbstbewußte und emanzipiert Frauen, die sich nicht gerne etwas von Männern vorschreiben lassen. Das ist doch auch systemkritisch.“ „Ach so, sie wechseln nun endlich das Thema und wir scheinen jetzt über Emanzipation zu sprechen.“ Ihr Ton ist ironisch und tief. „Wie schön. Ich finde Emanzipation wichtig und ich glaube, dass es in diesem Bereich einiges gibt, was noch verbessert werden kann. Deswegen interessieren mich auch Rollen, die zeigen, was Frauen zu Strukturen zu sagen haben, die, wenn ich das mal so sagen darf, auch heute noch patriarchalisch sind. Dazu gehört auch, dass Männer sich gerne mit dem Aussehen von Frauen beschäftigen, sich aber weniger darum kümmern was sie so denken. Insofern, sind Sie möglicherweise ein systemkritischer Journalist oder wollen es gerne sein, dass kann ich nicht wirklich beurteilen. Aber Sie stellen durchaus patriarchalische Fragen, nämlich nach meiner angeblichen Schönheit. Was würde ein männlicher Kollege dazu sagen, wenn Sie ihn mit so einem Thema kommen würden? Darüber hinaus bin ich aber auch abhängig von dem, was mir Regisseure anbieten.“ „Eben. Und deswegen, nehme ich einmal an, arbeiten Sie häufiger mit Meier zusammen. Schließlich haben Sie nun schon den dritten Film hintereinander mit ihm gemacht. „Das stimmt, die Zusammenarbeit mit Arnold Meier ist für mich eine wirkliche Chance, weil er mir Rollen anbietet, die genau das beinhalten. Es geht um emanzipierte Frauen, die eigene Entscheidungen treffen und deren Lebensausrichtung nicht ausschließlich für Männern stattfindet. Erstaunlich genug, dass dies im Filmgeschäft noch eine abweichende Haltung darstellt.“ „Sie meinen also, dass Ihnen sonst andere Rollen angeboten werden, die sich eher an einer patriarchalischen Weltsicht orientieren?“ „Ja, das könnte man so sagen. Ich habe das Glück, mir aussuchen zu können, was ich spielen möchte. Wobei ich natürlich innerhalb meiner Rolle nicht ausschließlich meine private Meinung reflektiert sehen möchte. Im Gegenteil interessiert es mich sehr, auch ganz andere Perspektiven aufzugreifen und zu spielen. Arnold Meier hat mir nun schon zum dritten Mal die Chance gegeben eine sehr facettenreiche Frauenfigur darzustellen. Er und seine Drehbuchautorin Camille Ostheim haben da ein wirkliches Händchen für intelligente Charakterstudien, wie ich finde.“ Er fährt sich mit der Hand über den Hals. „Die Welt neu erfinden, kann man selbst in einem Science Fiction nicht.“ „Nein, natürlich nicht, das ist eine Binsenweisheit. Sie können Utopien beschreiben, aber wenn sie zu stark von den realen Gegebenheiten der menschlichen Kulturentwicklung abweichen, dann tritt das individuelle Schicksal einer Person zu weit zurück um ihre persönliche Auseinandersetzung mit der Welt darzustellen. Ideologie und System sind ja überall, wir können es nicht anders denken. In einem Science Fiction habe ich noch nicht mitgespielt. Eine Raumstation oder ein Raumschiff sind sicher gut für ein Kabinettstück geeignet. Genauso wie im Theater die Isolation von Figuren und deren zufällig erscheinendes Zusammen-Eingesperrt-Sein auf begrenztem Raum eine gute Grundlage für eine Handlung sind.“ „Die von Ihnen angesprochenen Rollen als starke Frau spielen ja auch immer in einem patriarchalischen Hier und Jetzt, beziehungsweise in den aus der historischen Realität daraus gezogenen Schlussfolgerungen.“ Er zögert und schaut auf das vor ihm liegende Manuskript. „Äh, ja, Sie haben das Theater genannt und da stellt sich die Frage, was Sie mit dem selbigen verbindet und was Sie bei der Arbeit am Film mehr schätzen.“ „Tja, ich habe in meinem Leben nie viel mit Theater zu tun gehabt, außer während meiner Ausbildung und kurz danach. Im Theater hat man es als Schauspieler mit einer Vielzahl von Menschen zu tun, die sich auf einer Bühne durch die Interpretation eines Stücks ausleben wollen. Ich hatte den Eindruck, dass man dabei als Darsteller sehr belastet wird, ohne dass dies zu einem sinnvollen Ergebnis führen würde. Mit anderen Worten, habe ich im Film bisher immer sehr professionelle Menschen erlebt, die an einer gemeinsamen Sache, nämlich dem Film eines Regisseurs arbeiten. Das Ziel ist der Film. Im Theater ist das nicht so klar.“ Sie beugt sich nach vorne und nimmt einen Schluck Wasser. „Jetzt sind sie richtig wortkarg geworden.“ Sie lächelt. „Nah Sie sind ja auch das Thema des heutigen Abends und ich stelle nur ein paar Fragen.“ „Wir sind also schon durch?“ Sie lacht etwas angestrengt. „Also ich hätte da noch ein paar Sachen. Wieviele Drehbücher bekommen Sie denn so zugeschickt im Laufe eines Jahres?“ Sie greift sich an ihr Ohrläppchen. „Äh, das kann ich so genau nicht beantworten, weil ich die nicht in meinen privaten Briefkasten bekomme, sondern an meine Agentur gehen und die sortieren schon mal vor.“ „Wieviele bleiben dann denn noch übrig?“ „Ich weiss das nicht präzise, aber es können zehn oder fünfzehn sein.“ „Das heißt, zu Ihnen privat dringt keiner durch?“ „Doch, das gibt es auch, ist aber etwas seltener. Ich denke, der Weg über die Agentur ist besser.“  „Und von den fünfzehn kommt dann etwas in Frage oder kann es auch sein, dass für Sie nichts passt?“ „Manchmal ist nichts dabei, aber bisher gab es immer ein bis zwei die mir zusagten und bei denen ich das Gefühl hatte, es würde mich als Schauspielerin bereichern das zu spielen. Ob es dann dazu kommt, hängt ja noch von den Produzenten, der Finanzierung und so weiter ab.“ „Und Sie gehen dann auch noch zu Castings oder wollen die Sie sowieso haben und für so etwas bleibt keine Zeit?“ „Das kann man so nicht sagen. Es gibt auch Castings, wenn der Regisseur Probeaufnahmen machen möchte um entscheiden zu können welche Schauspieler am besten zu seinem Film passen.“ „Also, dann kann es auch passieren, dass Sie nicht besetzt werden.“ „Ja, das geschieht, es gibt eben manchmal andere, die besser passen. Wie überall im Leben.“ Sie lächelt versonnen. „Bei Arnold Meier ist es jetzt aber anders. Bei den letzten Projekten war er sich sicher, dass er mit mir arbeiten wollte.“ Sie lächelt. „Das heißt, Sie können auch scheitern, bevor die Dreharbeiten dann losgehen und jemand anderes bekommt die Rolle. Ist das schon häufiger geschehen?“ „Es geschieht, aber das ist ja kein Scheitern, sondern Schauspieleralltag. Ich meine, sie sprechen vor und dann wird entschieden. Es passt oder es passt nicht.“ „Ja, aber wenn Sie den Regisseur persönlich kennen, dann ist es einfacher, oder?“ „Ich weiss nicht worauf sie hinaus wollen. So oder so muss ich in die Rolle passen, das ist ja nicht zwangsläufig so.“ „Außer die Rolle wird für sie gemacht, geschrieben, gewissermaßen angepasst, in Handarbeit. So stelle ich mir Ihre Zusammenarbeit mit Arnold Meier vor.“ „Ach so, nun, Arnold Meier macht Filme nicht für mich, sondern für sein Publikum und da wird er nicht eine Rolle extra auf mich zuschneiden, wobei auch noch zu fragen wäre, was man denn auf mich zuschneiden müßte. Es ist nicht so, wie bei einem Kleidungsstück, das angepasst werden kann. Der Charakter muss ja stimmig sein.“ „Ja, aber wenn zum Beispiel zu bestimmten Rollen Nacktszenen gehören, dann ist es doch naheliegend, dass Arnold Meier sie mit Ihnen besetzt, weil Sie einfach den dafür passenden Körper haben.“ „Wie bitte? Meinen Sie wirklich, es ginge bei meinen Rollen in seinen Filmen um die Nacktszenen? Also ich muss sagen, dass ich mich frage, ob Sie die Filme überhaupt gesehen haben. Sie können doch meine Rolle nicht auf Nacktszenen reduzieren. Ich meine, das sind doch keine Erotikstreifen sondern ernst zu nehmende Filme. Wie kommen Sie denn überhaupt auf so eine Frage? Sind Sie verklemmt oder prüde oder ein christlicher Fundamentalist?“ Sie stützt sich mit den Armen auf das Sofa und verzieht ihr Gesicht angewidert. „Nein, nein, ich bin weder das eine, noch das andere. Ich denke nur über Vermarktungsstrategien nach und stelle fest, dass Arnold Meiers Autorenfilme, die in Filmkunst Kinos laufen, einige Nacktszenen aufzuweisen haben, in denen man Ihren Körper sehen kann und das ist beileibe kein Nachteil, aber die Filme hätten auch ohne diese Fleischbeschau eine Existenzberechtigung gehabt. Nur so lassen sich eben doch mehr Zuschauer dafür finden und damit wären wir wieder beim kapitalistisch-patriarchalen Komplex, den Sie ja zuvor in unserem Gespräch als existent bezeichnet haben. Ich sehe, dass Sie ihn auch als Darstellerin von starken Frauen in Wahrheit bedienen. Und es womöglich gar nicht wahr haben wollen, weil die Wahrheit eben auch für Sie schmerzhaft ist.“ Er schaut pathetisch. „Es geht eben um Vermarktungsstrategien.“ Sie spricht beleidigt. „Also, ich muss sagen, das ist doch überraschend für mich. Ich dachte nicht, dass ich mich in einem Interview solchen Fragen stellen müsste. Ich muss das auch nicht.“ Sie greift nach ihrer auf dem Boden stehenden Handtasche. „Schade, dass Sie das jetzt nicht aushalten können. Wenn man einmal etwas kontroverser rangeht.“ „Aber es geht doch nicht um mich!“ Sie ist sitzengeblieben und hält ihre Tasche auf den Knien mit beiden Händen fest und spricht in einer sehr hohen Lage. „Es geht Ihnen doch nur um ein Bild. Und das wollen Sie durchdrücken. Ich soll schön sein, das realisiert haben und mich als Sexobjekt in Stellung gebracht haben. Rollen bekomme ich aufgrund von persönlichen Beziehen, meinem Aussehen und meiner Bereitschaft mich nackt in Filmen zeigen zu wollen. Als nächstes kommen Sie mit der Unterstellung dass ich mir Besetzungen erschlafe. Über die Frage, ob ich käuflich bin haben wir bisher nur indirekt gesprochen, aber sie werden das Thema bestimmt auf den Tisch bringen. Ich meine, was für ein Geist herrscht denn in Ihrer Redaktion? Repressiver Salonkommunismus gepaart mit regressiver Frauenfeindlichkeit? Warum haben Sie mich hierher eingeladen, wenn Sie schon wußten, dass ich nicht ihren Erwartungen an künstlerischer Erhabenheit entsprechen kann.“ Sie ist sehr erregt und beginnt zu schluchzen. „Also ich finde, jetzt machen Sie hier eine Show, wie in Ihrem letzten Film, das ist ja nahezu deckungsgleich. Alle Achtung, das nenne ich mal Authentizität. Damit hätte ich nicht gerechnet.“ Er faltet die Hände vor der Brust, als wolle er beten. „Regressive Frauenfeindlichkeit und repressiver Salonkommunismus sind übrigens wirklich gute Schlagwörter.“ Er lacht jetzt leicht nervös. „Das könnte man auch umdrehen. Repressiver Salonkommunismus und regressive Frauenfeindlichkeit. Das hat mir noch niemand vorgeworfen.“ Sie schaut auf ihre Tasche und dann auf ihn. Ihre Augen sind feucht. „Dass Sie mich in so eine Situation bringen. Es ist empörend mich in dieser Weise zu diskreditieren, wo Sie selbst ja nur ein kleiner Schreiberling sind, der einfach neidisch ist auf die Kunst der anderen und auf deren Freiheit. Sie hassen die Freiheit der anderen. Das ist der Grund, warum Sie mich hier niedermachen wollen.“ Er atmet hörbar aus und drückt seine gefalteten Hände weiter zusammen, bis die Knöchel weiß werden. „Ich bitte Sie, ich habe doch keinerlei Gründe um Sie zu diskreditieren. Ich versuche nichts anderes als meiner Arbeit nachzugehen und da ich nun einmal Journalist bin, versuche ich hinter die Oberfläche zu schauen. Deswegen habe ich Ihnen ein paar nicht sonderlich provokante Fragen gestellt oder Ihre Antworten kommentiert. Aber die ganze Situation ist doch getragen von meinem Respekt für Ihre Leistung als Schauspielerin, sonst hätte ich Sie doch nicht hierzu eingeladen.“ „Das glaube ich Ihnen nicht. Sie haben keinen Respekt und ich nehme an, dass Sie dazu auch einfach nicht fähig sind. Sie denken nur, Sie würden mich respektieren. In Wirklichkeit verachten Sie mich und haben deswegen bei all Ihren Fragen einen starken Zweifel an der Integrität meiner Person durchscheinen lassen.“ Ihre Augen sind feucht, die Schminke etwas verschmiert. Sie hat ihren Arm über die Rückenlehne des Sofas ausgestreckt und schaut ihn direkt an. „Und ich blöde Kuh gebe mir noch die Mühe diese Fragen zu beantworten.“
Sie steht auf und streicht sich über ihre Hose. Während sie nach der Handtasche greift, schaut sie ihn an. Er sitzt wie erstarrt. „Wehe Sie senden das hier. Ich werde dazu unter keinen Umständen meine Erlaubnis geben.“


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Freitag, 14. Juli 2017

 "Blaubeeren pflücken"
Tusche, Aquarell, Acryl auf Papier, 65 x 40 cm, 2017