Donnerstag, 9. November 2006
Oper Köln
Opernbesuch in Köln am 27. und am 28. Oktober:
Am 27.10 in den Lohengrin.
Ausverkauftes Haus, bis auf den letzten Platz, das Publikum typisch für die Kölner Oper:
Zumeist ältere Menschen, von denen ca. ein Drittel eine greisenartige Erscheinung hat. Ich habe eine Dame gesehen, die ein Haarnetz trug, eines der Sorte, die zur Lebzeiten meiner Großmutter noch stärkere Verbreitung fanden (ich meine die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts), so etwas wie ein Nylonspinnweben, welches in diesem Falle seit Wochen nicht mehr nachgefärbte lichtere weiße Haare umschloss, wie eine elastische Kopfdelle...
Durchweg werden ja eher konservative, dunkle Kleidungsstücke in der Oper getragen oder sagen wir nicht mehr passende, das Gros der Greise trägt Jackets aus einer Zeit, in der ihre Muskelmasse gut doppelt so groß gewesen sein muss wie heute und die Farben sind Unfarben wie Braun, Schwarz und das allseits beliebte Grau. Die schlotternde Arme und nach unten weisenden Schulterpolster, an der Stelle, wo man den Ellenbogen vermutet, verdecken bei den Frauen Unmengen von Schmuck, der in der runzeligen Haut zu versinken scheint.
Also ein ausverkauftes Haus, in dem außer ein paar mitgenommene Kindern in Konfirmationskleidung, wenigen BWL Studenten, die die ABO Karten Ihrer sicherlich aus Krankheitsgründen nicht anwesenden Großeltern oder Eltern wahrnehmen (und tatsächlich treffsicher auch in Grau gekommen sind), viele müde Gesichter zu sehen sind, von Menschen, die eines sicher machen, arbeiten und viel essen. Eine Armee von Dicken und Alten, die unerwarteter Weise sich in dem Vorhaben einig zu sein scheint, den Lohngrin von Richard Wagner anzuschauen und anzuhören und das mehr als vier Stunden lang, rechnet man die Pausen mit ein....erstaunlich, wer macht so etwas freiwillig? Bei der Aussicht auf Schmerzen in jedem Zentimeter des geschwächten Körpers, der in den Nachkriegssitzen des Kölner Opernhauses leider keinen Grund zur Freude haben wird, eng, schlecht gepolstert und ohne jegliche Möglichkeit die Beine auch nur annähernd auszustrecken, in den Balkonen wird die Zeitmarter durch die aufsteigende verbrauchte und zu warme Luft der Parkett Gäste noch schwieriger, das Einnicken, der Halbschlaf, das mögliche Röcheln und dadurch bedingtes schlagartiges Weidererwachen mit nunmehr schrägstehendem Kopf...., die Nähe zu einem völlig Fremden, mit dem man eine Armlehne und womöglich den Geruch des zuvor besuchten Restaurants oder schlimmer noch seinen alten Schweißgeruch teilen muß... würden das im Gegenvergleich die Fans von Robbie Williams ertragen wollen? Vielleicht, denn sie sind viel jünger und belastbarer...
Endlich haben alle mehr oder wenig langsam ihre abgenutzte Klappsitze eingenommen und mußten um andere vorbeizulassen, dutzende Male wieder aufstehe, endlich dürfen die programmverkaufenden Schließerinnen (Gibt es den Begriff nicht auch in bundesrepublikanischen Strafvollzug?), die Türen schließen, das dumpfe Licht der original sechziger Jahre Beleutung erlischt (die beleuchteten Kristalldeckenblumen werden mit Kaninchendraht und Netzen gesichert, damit zerberstendes Glas nicht auf die Zuschauer regnen kann...) und die wunderbare Ouvertüre kann beginnen.
Lohngrin, mythische Musik, das Gürzenichorchester spielt wie in der jüngeren Vergangenheit bei Wagner von Anfang an superbe und dann kommen die Zuspätkommer. Sie werden von den Schließerinnen gnadenlos hereingelassen und dann muß sich während der Ouvertüre eine ganze Reihe des linken Parketts erheben, damit die bereits von anderen besetzen Plätze unter lautem Wortgefecht geräumt werden können und man sich mit dem guten Recht des Kartenbesitzers niederlassen kann, warum auch schämen, schließlich hat man dafür bezahlt und kommt schon seit Jahren pünktlich, die Vertriebenen wiederrum müssen erneut die ganze Reihe aufstehen lassen und können den ersten Aufzug völlig vergessen, so tief muss die Demütigung gesessen haben, das reicht für den ganzen Abend, glücklicherweise ist niemand bei der ganzen Aktion im dunklen Zuschauerraum gestürzt ..., gut, die Aufmerksamkeit kann sich wieder der Musik widmen, bis, ja, bis der Vorhang aufgeht und das Unvermeidlich geschieht, die sogenannte Inszenierung, in diesem Falle von keinem geringeren, als Klaus Maria Brandauer trifft auf die Netzhaut und das ist sofort erschütternd. Wir sehen eine stark an den Orchestergraben gerückte Szenerie, die aus Nebelschwaden aufzutauchen droht:
Zwei Autobahnbrückenpfeiler ohne Brücke und daneben ein abgestorbener und holer, womöglich durch eine Blitz seitlich gespaltener Plastikbaumstamm, ein aufrecht stehendes seitlich geborstenes Kanalrohr?
Was trägt man bei Lohngrin? Kettenhemden und Lederkäppies, Schürzen und Gummiröcke mit Hosen darunter, es erinnert etwas an die verhaßte Ausstattung von Cat Weezle und seiner besten Freundin Krywalda. Es ist klar, das muß wohl eine naturalistische, historisierende Inszenierung sein...
Blumenmädchen, singende Bauernburschen, bunte Bänder im Sommerwind, Kornblumen...
Das gemeine Volk, also der Opernchor ist farblich zurückgenommen in braun, schwarz und dunkelgrau, um der Erscheinung von Elsa von Brabant in einem bodenlangen reinweissen Kleid und Lohngrin in einem silbrig schimmernden Ensemble aus Kunstleder, die ihnen gebührende visuelle Aufmerksamkeit zu sichern. Elsas Kleid aus einem sehr dünnen und deshalb doppelt gefütterten Stoff ist lang, sie verheddert sich im Laufe des zweiten Aufzuges mehrmals so darin, dass ein Sturz auf die Bretter, die die Welt bedeuten, nur knapp durch rasches Zerren am Stoff abgewendet werden kann. Der Einsatz von unmotiviert herumstehenden Brautjungfern und ihr ständiges Herumnesteln an Elsas mutmaßlichem Brautkleid dient im Grund nichts anderem, als der Abwendung des finalen Sturzes der guten Elsa, die sich immer wieder dümmlich wirkend aus den Trittfallen ihres Faltenwurfes zu winden trachtet. Die Ärmste wird von einem Lohngrin begehrt, dessen Brustschild nicht im geringsten die stattliche Erscheinung unterstreicht, sondern ihn etwas verfettet wirken läßt, obwohl der reale Sänger Gottlob tatsächlich schlank zu sein scheint. Aber was macht das schon, wenn man sich seine silbernen Hosen genauer anschaut, in denen er aussieht, als trüge er Inkontinenzwindeln... arme Elsa von Brabant....Was macht eine Kostümbildnerin, der es gelingt einen gut aussehenden blonden Heldensänger wie einen gebrechlichen Vollidioten aussehen zu lassen? Gibt es nicht den Anspruch der Einheit zwischen Stimme, Rolle und Bühnenerscheinung bei Wagner, dem die allegorische Wirkung der Figuren über alles geht?
Wie schade, daß der Bühnenraum nur bis zu einer Tiefe von zehn Metern genutzt wird. Der Opernchor preßt sich rechts und links am Bühnenrand und wird zur Dauerflanke, damit die immer auf gleicher Höhe erscheinenden Hauptdarsteller nicht verdeckt werden. Wäre doch phantastisch, wenn die Figuren sich leicht und frei auf der Bühne entfalten könnten und ein wenig echte Bewegung ins Spiel brächten.
Der Schwan, welcher Lohngrin auf einer Barke über das Wasser zieht ist unzweifelhaft eine komplizierte Stelle für jede Inszenierung, die naturalistisch daher kommen will. Was nur hat Herrn Brandauer und Herrn Zechner (Bühnenbild) dazu verleitet einen großen Plüschschwan herstellen zu lassen und diesen von Opernchor und Statisten aus dem Off auf Händen in den Raum tragen zu lassen? Das Publikum lachte jedenfalls. Wie um zu sagen: "Schaut nur, so lustig ist ein künstlicher Schwan."
Das Licht erschöpft sich im Anleuchten von müden Nebelschwaden und ist ansonsten der Beleuchtung einer brasilianischen Telenovela würdig, Hauptsache man sieht alles recht deutlich, damit auch kein Detaille der wunderbaren Bühne und der klassischen Kostüme (Petra Reinhardt) verloren geht.
Man kommt sich vor wie im Homevideo des grauhaarigen Mittfünfzigers in der zweiten Reihe, dessen Videokamera immer genau den richtigen Weißabgleich findet, damit Tante Ritas Gesicht nicht zu orange wirkt.
Nach dem zweiten Aufzug und mehrmaligem Wegnicken, forciert durch das Bedürfnis vor so viel gekonntem Naturalismus die Augen zu verschließen, war es an der Zeit zu gehen, um zu Hause im Bett und mit einem heißen Tee den Rest auf CD zu hören, Wagners Musik phantastisch zu finden und neue Kräfte aufzubauen um am nächsten Tag etwas Leichteres zu geniessen, die Macht des Schicksals von Guiseppe Verdi.
Und zum Verdi gibt es nicht viel Gutes zu sagen.
Die Inszenierung ist expressionistisch angehaucht, man ergeht sich in plakativem, dunklem Symbolismus, der einer Paul Hindeminth oder Béla Bartók Komposition als Regieansatz zu Gesicht stünde und erzählt fragmentarisch und nicht mehr nachvollziehbar.
Es entsteht der Eindruck, als hätte der Regisseur Herr Schuller die Handlung selber nicht verstanden und wundert sich nun nicht mehr, wenn er die Petersburger Fassung zur Inzenierung wählt, obwohl Verdi eine überarbeitet Mailänder Fassung Jahre später ablieferte, die sicherlich nicht entstanden wäre, hätte er die ältere Fassung nicht für überarbeitungsbedürftig gehalten.
Das Bühnenbild ist sondergleichen schlecht, vermittelt es doch nichts anderes als Konfusion.
Was bitte soll ein Eisenbahnprellbock auf der Bühne, hinter dem sich zwei Protaginisten, wie an einer Kneipentheke nach mehreren Kölsch abstützen? Nun, es gibt ein einleuchtende Erklärung, man muss den völlig verfetteten Alvaro, der so schwergewichtig ist, daß er sich nicht mal mehr ohne Hilfe auf den Bühnenboden setzen kann, genau an seiner breitesten Stelle nicht sehen, ähnliches gilt für die Fettleibigkeit des Fra Melitone, dessen tonnenförmiger Bauch und sein unappetitliches Schlabberkinn nur eine Frage zuläßt:
Kann man Opernsänger tatsächlich besetzen, die so korpulent sind, daß ihre Bühnentauglichkeit definitiv bis zu einer dringlichen Diät mit Gewichtsreduzierung beendet ist?
Bei Leonora die Vargas sieht man, daß es mit einer einer etwas fülligeren Figur durchaus noch sehr gut geht, das Agieren auf der Bühne, das Schauspielern, das Darsteller sein, mal abgesehen von den Zwängen, der auch Sie sich durch das katastrophale Bühnenbild ausgesetzt sieht.
Warum hat Herr Schuller eigentlich das Bedürfnis eine epigonale Inszenierung im Stile seines ehemaligen Lehrers Herrn Kremers umzusetzen. Sollte man nicht irgendwann einmal ein eigenes Profil entwickeln?
Und dann auch bitte Stücke auswählen, denen man gewachsen ist und deren Libretto und Handlungsstrang man auch verstanden hat.
Oder ist es wie bei vielen bekannten Künstlerpersönlichkeiten, sie wählen sich nur Assistenten und Studenten, die alles so ähnlich und allenfalls etwas schlechter als sie selbst machen. Da scheint es Parallelen zu Kunstakademieklassen zu geben..., aber dazu ein anderes Mal mehr...
Der Gesang war durchweg besser als die Inszenierung. Ein Lob an Isabelle Kabatu und Dalia Schächter.
Ich habe die Augen von Zeit zur Zeit geschlossen und dann doch noch bis zum Schluss durchgehalten.
Bel canto.