Montag, 16. April 2007

Anerkennung bei Gleichgesinnten


Am Frühstückstisch neben Zuckerherzen als Dekohagel und einem „Happy birthday“ aus Schokolade, das Geschenk meiner Eltern, ein Gutschein für ein Schlafsofa nach eigener Wahl. Das wäre mein erstes Sofa, ich wollte so etwas nie, weil es mir zu sehr Ausdruck des Couchpotato-Daseins war, obwohl ich in meinem Atelier ein 60er Jahre 3er Sofa vom Sperrmüll habe und es sehr liebe. Gebrauchte Möbel haben Seele, unpathetisch.
Ich hatte nie Geld für Möbelgeschäfte, und wenn, dann habe ich es doch in Kunstmaterialien oder Reisen investiert.
Dieses Jahr fällt mein Geburtstag wieder einmal auf einen Freitag und ist somit der Unglückstag schlechthin. Freitag der dreizehnte.
Nun, das kann mir nichts anhaben, schließlich bin ich höchstwahrscheinlich auch an einem Freitag zur Welt gekommen.
Nach einer Innenminiskus OP Ende letzten Jahres kann ich nicht mehr Joggen und begnüge mich mit der Hoffnung auf keine weiteren OP's und der baldigen Möglichkeit wieder wandern gehen zu können. Der Eingriff scheint soweit ziemlich schief gelaufen zu sein, das will nur niemand zugeben. Ich habe deshalb die meisten Arztbesuche eingestellt. Mein neues Sportstudio ist gesundheitsorientiert und mutet mir schon nach wenigen Wochen wie ein Strafgefangenenlager an. So will ich meinen Körper definitiv nicht beweglich halten müssen, aber der Vertrag ist für ein Jahr bindend, also bis ich fast einundvierzig Jahre alt sein werde. Da ich durch meine Bewegungseinschränkung zu wenig verbrenne und trotzdem viel und zu gerne esse, versuche ich einer drohenden Verfettung mit Trennkost entgegenzutreten. Mein Partner beruhigt mich, ich bin nach Jahren des Singeldaseins in einer festen Beziehung und zweifle trotzdem daran, ob eine dauerhafte und enge Verbindung wirklich mein einziges Glück bedeuten kann. Meine vorzeitige Vergreisung demonstriere ich den im nahe liegenden Forst eingesperrten Wildschweinen beim Nordic Walking, mit aus Scham zum Boden gesenktem Kopf. Aber etwas anderes schaffen meine Gelenke derzeit nicht.
Das Walken zu Ostern war eine echte Belastungsprobe. Bei dem schönen Wetter hatte sich der sonst zwar nicht unbelebte, aber doch ruhige Wald in eine dicht bevölkerte und irgendwie nur zufällig baumstandene Freizeitinsel verwandelt. Auf jede Pflanze kam ein Sonnen- und Frischlufthungriger. Wild gestikulierende und schreiende Kinder vor den Wildgehegen, die mit Steinen nach den Wildschweinen und deren Frischligen warfen, welche laut kreischend als „die gestreiften Zwergschweine“ tituliert wurden. Was soll man auch sonst mit den Tieren machen.
Picknickveranstaltungen, die mit portablen Küchen zu echten Luxusdiners für Großfamilien wurden.
Vierzehnjährige , offenbar ziemlich pubertierend, in 100% igen Nylonsporthosen, die mit einem infernalisch laut Musik spielendem MP3 Handy in der Hand von Bank zu Bank joggten, um immer mal wieder eine ordentliche Zigarettenpause einlegen zu können und bei denen man sich wohltuende Kopfhörer zum endgültigen Ausschalten des Hörvermögens dringend herbeisehnte.
Und Achtjährige, die von ihren anscheinend nicht arbeitslosen Vätern ethanolbetriebene Kindermotorräder geschenkt bekommen hatten, welche man unbedingt auf Waldwegen bis zur geschätzten Höchstgeschwindigkeit von österlichen einhundertfünfundsechzig km/h mal so richtig ausfahren sollte.
Gut, ich bin trotzdem einfach weitergewalkt, bis die Knie richtig schön weh taten, dann noch mal schnell ins Einkaufscenter, jetzt Samstags bis 22 Uhr geöffnet und in einem Haufen Silberpapier-Schokoladenbruchbrei mit dem Einkaufswagen steckengeblieben. Wo sonst ein Süßigkeitenregal war, stand nun nur ein von Leere gähnendes Holzregal, dessen Seitenteile abgebrochen waren. Die auf dem Boden liegenden Reste hatte sich in den Rollen des Wagens verklebt. Aus einem quoll eine nougatfarbene Sauce.
Nach der Befreiung stürmte ich mit klebrig braunen Händen eine Etage höher vor das Frischeiregal. Augenscheinlich hatte sich dort ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt. Nichts als zerborstene Resteier und platt gewalste Pakete auf dem Boden, die ineinander geschlagen worden waren. Meine klebrigen Hände suchten verzweifelt nach einem unbeschadeten Paket. Keine Chance. Eine in der nähe Konservendosen aufstapelnde Verkäuferin sollte mir bei der Suche nach frischer Hefe behilflich sein. „Schon lange nix mehr da“, war die freundlich geröchelte Antwort und ich begann zu akzeptrieren, dass Ostern mich anscheinend nicht wollte.
Man kann auch mit Trockenhefe backen und Eier hatte ich noch im Kühlschrank. Es kam zu einer unverdrossenen campanischen Ostertorte mit Reis-Zitronatfüllung und einem griechischen Osterbrot in Sesam.
Ansonsten verging Ostern dann wie im Fluge und derzeit bin ich schon wieder ganz wo anders.
Wie spricht man einen Galeristen souverän in einer Galerie an? Spricht man wohlwollend und Kennerschaft verratend über die ausgestellten Arbeiten, den wunderbaren Ausstellungsraum der Galerie, preist das Programm der letzten Monate und schafft es, das Gespräch auf sich zu lenken und völlig unprätentieus einfallen zu lassen: Ich bin auch Künstler? Haben Sie keine Vakanzen? Finden Sie nicht auch, dass ich bei den durchschnittlich fünf pro Tag bei ihnen aufschlagenden verkrachten Existenzen, die eine Austellungsmöglichkeit suchen, der eine bin, den sie immer wollten, der Parzival ihrer Galerie, der entgegen aller Annahmen das hat, was sie schon immer gesucht haben: den richtigen Ausdruck des Scheiterns, den Gral.
Nach vierzig Jahren, bin ich endlich für Sie ausgeschlüpft, als Held des Kunstmarktes.
Heureka, es ist ein Osterhase! „Nicki der weiße Hase“, meine Lieblingsmärchenplatte.
Der weiße Nicki macht sich auf, um den Wald der Osterhasen zu finden, denn schließlich gibt es nur bei ihnen, was er immer vermisst hat: Anerkennung von Gleichgesinnten. Die Märchenplatte ist derzeit leider im Keller verschollen, vielleicht hat meine Mutter sie auch weggeschmissen. Spurensuche ist angesagt.