Deine Geliebte versinkt in der Lava und du wirst nichts ausrichten können. Du klebst wie eine Fliege auf einer klebrigen Teerfläche fest und und deine Arme hängen schlaff am Körper herunter, wie bei einem Amputierten fehlt die Füllung unter dem Stoff der deine Schultern bedeckt. Er klebt wie ein abgeknicktes Rohr an deinem Körper.
Du weist nicht ob sie noch da sind, du bist dir nicht sicher, ob du sie noch spürst -
Deine Geliebte steht dir frontal gegenüber, sie rudert hektisch mit den Armen und ihre Beine sind bereits bis kurz unterhalb der Knie in einer dunklen, blasenwerfenden Masse versunken. Leichte Rauchschwanden steigen auf.
Du denkst, dass es nicht gut aussieht, als könne sie sich daraus niemals wieder selber befreien.
Du denkst, dass es nicht gut aussieht, als könne sie sich daraus niemals wieder selber befreien.
Sie gibt ein hoffnungsloses Bild ab.
In ihren Augen steht Panik.
Ihre Haare kleben auf der feuchten Stirn.
Aber, hat man nicht schon von Wundern gehört? Von richtigen Wundern, die das Universum mit den Sterblichen vereint und unser trauriges Schicksal befrieden?
Wunder bei denen alles gut wird, was uns zuvor hat verzweifeln lassen?
Wunder, die das Glück auf uns aufmerksam machen?
Füllhorn, Einhorn, Morgengrauen.
Sie rudert mit den Armen und schaut dich mit weit aufgerissenen Augen an.
Was wirst du tun?
Du drehst deinen Oberkörper hin und her - es erinnert dich an einen contergangeschädigten Mann, den du vor ein paar Jahren beim Einkaufen beobachtet hast.
Du siehst förmlich, wie sie noch etwas tiefer gesunken ist.
Ihre Knie sind nun schon nicht mehr zu sehen.
Deine Schuhsohlen lösen sich ein wenig vom Grund, lange Fäden bilden sich beim Anheben der Fersen, aber dann kannst du doch nicht loslaufen, trotz einer gewaltigen Kraftanstrengung - die klebrige Masse zieht kurzfristig wieder an und lässt dich nicht entkommen.
Was hatte der Reiseführer noch zu dir gesagt, als er mit schnellen Worten erklärte, was zu tun sei, wenn du am Boden festklebst, während deine Geliebte in der Lava versinkt?
Es gab einen kanarischen Zauberspruch, mehrere Wörter, die du auch schon einmal verwendet hast, als du dich mit deinem Freund, dem Großwesir, in einen Storch verwandeln wolltest. Mutabor, Hutabor, Rutabohr, Teppichflor ...
Sie wird weiter einsinken, bis die zähe Flüssigkeit in ihren offen Mund läuft, denkst du. Hättest du dich doch besser konzentriert, als der Reiseführer die Sache mit dem Versinken erklärte. Das Schlimmste ist die Angst vor der Unabwendbarkeit dessen, was du mit zu verantworten hast.
Ingeborg Bachmann und Lothar stehen am Rande des Kraters, sie schauen in den aktiven Kern, in dem ein kleiner Lavasee vor sich hin brodelt.
Ingeborg Bachmann starrt nach unten, sie streicht ihr langes strähniges Haar aus dem Gesicht und hebt den Blick zu Lothar. Lothar, deine Geliebte versinkt und was gedenkst du zu tun?
Lothar schweigt, er schaut Ingeborg an und greift mit der Hand an sein Ohr, massiert es wie abwesend. Ein Tosen wie Schalmeien - Nordostpassat.
© Hagen Rehborn 2012 - to be continued