Sonntag, 7. Februar 2010

Momente


























Momente



Er saß im oberen Drittel des mittleren Blocks und hatte den Platz für dieses Konzert ganz bewusst ausgewählt. Hatte man in den steil ansteigenden Sitzreihen von dort aus doch einen ausgezeichneten Blick auf die Bühne und das gesamte Orchester und befand sich akustisch in idealem Abstand.

Die halbrunde Bühne war bis auf den letzten Platz mit Instrumenten, Stühlen und Notenständern bestückt.

Die Komposition verlangte nach einem umfangreichen Aufgebot an Becken, Trommeln und Streichern.


Die Reihen des Zuschauerraumes füllten sich wie stets erst nach der dritten und letzten Fanfare gänzlich, ein Verhalten, welches das Publikum erst in den letzten Jahren entwickelt hatte, war man doch in seiner Wahrnehmung früher schon nach der ersten Fanfare in einen halbwegs gefüllten Saal gekommen und nach dem dritten Signal kamen dann nur noch abgehetzt Verspätete.

Das Konzert war laut Information am Eingang ausverkauft.


Ein paar Stehplatzkartenbesitzer suchten trotzdem in den Reihen nach freien Plätzen und wurden wie immer fündig, schließlich gab es unverständlicher Weise stets einige Abonnenten, die ihre Karten verfallen ließen.

Sein Interesse galt denen, die in unmittelbare Nähe zu ihm saßen, jenen also, mit deren Verhaltensweisen er während des Konzertes unweigerlich konfrontiert sein würde.

Wenn sie sich ruhig und entspannt hinsetzten, nicht sprachen, nicht über ein Meter fünfundachtzig groß waren, nicht stanken, sich nicht im Rhythmus der Musik bewegten und wenn sie keine kleinen Kinder waren, dann mochte er sie.

Er hatte leider schon unerträgliche Sitznachbarn erlebt, die sich wie die Vandalen aufgeführt hatten, ohne, selbstredend zu wissen was ein Vandale war.

Kinder in klassischen Konzerten waren der Alptraum seiner schlaflosen Nächte.

Er mochte Kinder wenn sie still, introvertiert und hübsch waren, wenn sie kluge Fragen stellten und nicht laut wurden, wenn sie sich nicht schmutzig machten und wenn sie sich nicht zu hektisch bewegten.

Zu seiner Rechten nahm eine Frau in den Fünfzigern Platz, die in einen cremefarbenen Hosenanzug gekleidet war und dazu eine weiße Bluse mit vielen Perlen als Kette trug.

Beim Betrachten der Dame steckte er seine Hand in die Hosentasche und fand_ irritiert einen von ihm geschriebenen Zettel, den er zerknüllt eingesteckt zu haben schien.

Er strich das Papier glatt und las eine von ihm verfasst Liste einheimischer Pflanzen:


1. Tollkirsche - Atropa belladonna;

2. Roter Fingerhut - Digitalis purpurea;

3. Gepfleckter Schierling - Conium maculatum; 
4. Herbstzeitlose - Colchicum autumnale; 
5. Blauer Eisenhut - Aconitum napellus; 
6. Schwarzes Bilsenkraut - Hyosyamus niger;

7. Safrangelbe Rebendolde - Oenanthe crocata;

8. Stechapfel - Datura Sramomium;

9. Lorbeerseidelbast - Daphne laureola 
und 10. Spanischer Ginster - Spartium junceum.


Er hatte einige diese Pflanzen vor ein paar Wochen in seiner Gärtnerei bestellt und bemerkte irritiert, dass sie sich nicht mehr bei ihm gemeldet hatten.

Es schien so, als müsste er da am Montag nochmals vorbeifahren.

Die Frau in Creme hatte ihre dicke, sehr große Brille abgenommen und an einer Kette hängend auf ihrem Decollté abgelegt, so dass man ihre Halsfalten durch die aufrecht stehenden Gläser deutlich vergrößert, wie zwei Fenster rechts und links auf ihrem Busen stehend, sehen konnte.

Ihre Wimpern waren, wie bei vielen Frauen über fünfzig, etwas von der Wimperntusche verklebt, weil sich die feinen Härchen nach den Wechseljahren manchmal in unterschiedliche neue Richtungen verbogen und dann nicht mehr

so leicht zu färben waren. Es gab ihnen stets das etwas lädierte Aussehen, welches junge Frauen nach einem Weinkrampf hatten, nur dass man es in ihrer Altersklasse für gewöhnlich und nicht für sonderbar hielt.


Die Brillenkette hatte sich mit der mehrreihigen Perlenkette verwirbelt, so dass eine Reihe in Richtung zu rechten Schulter etwas in der Luft schwebte.

Die Brillenkette war aus transparenten Kunststoffgliedern und unter den Perlen kaum zu erkennen.


Er erinnerte sich daran, gelesen zu haben, dass die Einwohner Polynesiens große Tahitiperlen zermahlten, um das daraus gewonnene Perlmutpulver als Aphrodisiakum mit Honig einzunehmen.


Heilsame Dinge sind kostbar, haben aber wenig mit unserem Glauben an zeitlosen Wert zu tun, sie waren stets Moment der in eine Zukunft weist, wie Musik, fand er.

Die Musiker betraten den Bühnenraum und das freudlos gekleidete Saalpersonal schloss die Türen.

Zuspätkommende würden nur noch den dafür vorgesehenen Balkon betreten dürfen und auch nur an Stellen des Konzerts, die ein Öffnen der Türen unbemerkt zuliessen.

Eine Regelung die sehr im Einklang mit seiner Auffassung von der Würde des Augenblickes stand.

Die Musiker nahmen ihre Plätze ein.

Das etwas unbestimmt anmutende Rücken der Stühle, das Befingern der Instrumenten und von Lächeln begleitete Kollegengespräche wurde bald vom Aufstehen des ersten Violinisten beendet, der den Ton zum Einstimmen vorgab.


Der Dirigent betrat die Bühne.

Er erklomm eine Art kleine Empore, mit einer Absperrstange im Bereich des

Rückens. Applaus kam auf, er verbeugte sich und kehrte dem Publikum den Rücken zu. Das Licht im Zuschauerraum wurde gedimmt.

Er hob die Arme und begann, den Taktstock in der Rechten, zu dirigieren.

Die Musik setzte leicht zeitversetzt ein und überschwemmte den Konzertsaal 
sofort mit ihrer immensen Kraft, wie ein Strom, der ein Stück Land überflutete.

Er kannte jeden Ton, der nun gespielt wurde auswendig. Er verkrampfte sich ein wenig, in der bangen Erwartung, etwas könnte sich anders anhören, als er es für angemessen hielte.

Nach wenigen Minuten war der Bann aber gebrochen.

Er wusste nun, dass dieses Orchester eine Interpretation spielte, die er interessant und überraschend fand. Selten hatte sich herausgestellt, dass der erste Eindruck dann doch noch in eine Enttäuschung führen konnte.

Der erste Satz verlief für ihn sehr beglückend, die Kraft der Musik trug seine

Gedanken hinfort und die Töne lösten in ihrer Abfolge unmittelbare Empfindungen wie Trauer, Freude und Euphorie aus.

Nach dem Ende des Satzes und der darauf folgenden kurzen Atempause,

hustete man im Publikum vereinzelt, jemand in einer der vorderen Reihen schien kurzzeitig eine Art Keuchhustenattacke zu erleiden, beruhigte sich aber mit dem erneuten Heben des Taktstockes durch den Dirigenten sehr rasch.


Der dicke Mann zu seiner Linken kratzte seine Hose im Kniebereich ...


Zwischen ihnen war ein Platz unbesetzt geblieben.


Der zweite Satz begann fulminant.

Die Becken wurden in Schwingungen versetzt und die Kontrabassisten arbeiteten sich in ihrer unnachahmlichen Halbsitzstellung auf einer Art Barhocker an ihren riesigen Instrumenten mit sägenden Bewegungen ab.


Plötzlich schlug etwas gegen sein Bein.

Er wendete sich irritiert nach rechts.

Die Sitznachbarin in Crème hatte ihr Bein starr in seinen Fussbereich gestreckt.

Sie war in ihrem Sitz nach unten gerutscht, so dass sich ihr Gesicht durch die Sitzlehne gestützt etwas zu ihm gewandt hatte.

Das Kinn berührte ihre Brust und ihre abgerutschte Brille hatte sich dazwischen verkeilt.

Die Kontrabässe und Becken vereinigten sich in einer gewaltigen Klangflut.

Er versuchte vorsichtig ihr Bein bei Seite zu schieben, sie schien keinen Wiederstand zu bieten und kippte mit ihrem Oberkörper seitlich über die zwischen ihren Sitzen befindlichen Armlehnen gegen seine Schulter.

Verstört erhob er sich aus seinem Sitz und versuchte sie mit seiner rechten Hand zurückzuschieben.

Ihr Kinn verweilte merkwürdig auf der Brust und nun sah er, dass aus ihrem Mund Speichel tropfte, der sich in einem der Brillengläser fing.

Das Orchester erklomm den gewaltigen Höhepunkt in der Mitte des 
zweiten Satzes. Hörner erschallten.

Er sah sich entsetzt um.

Eine Person in der Reihe über ihm beugte sich nach vorne und versuchte zu ergründen was vor sich ging.


Er hielt die Frau an den Schultern fest und schüttelte sie leicht, sie rutschte weiter nach unten, ihr Gesicht berührte seinen Bauch.

Er sprach verzweifelt: „Oh Gott! Hilfe!“. Aber seinem Mund entwich nur eine Art Krächzen.

Ihr Leichnam sackte vor ihm auf den Tribünenboden.


©Hagen Rehborn 2010



Sonntag, 23. August 2009

Fido-Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung























Einzelausstellung: Hagen Rehborn

Malerei, Skulpturale Assemblage, Zeichnung

Kunstraum H&H, Buttermarkt 17 - 19, 50667 Köln

Eröffnung am Donnerstag, 3. September 2009, 18.30 - 21.30 h


Dauer: 3. September bis 22. Oktober 2009


Öffnungszeiten: Mo - Fr 13 - 19 h, Sa 12 - 16 h und nach Vereinbarung


Tel.: 0221-58980681

www.KunstRaumHH.com

jjp@jjponline.com



Klar


















Rasenmäher fahren endlose Schleifen durch kahlgehächselte Vorgärten.

Nach Hause kommen, Fenster schliessen, Ohrenstöpsel einsetzten, ein bisschen zu Tode tanzen.
Sacre du Printemps, Siegfried, Hagen und Brünhilde sind auch schon da, klar.

Unendlichkeit vor der Garageneinfahrt eines Fremden. Kummer vor dem Tor.
Wie schön sind die Blätter dieses Strauches, wie farbig sind seine Blüten. Unerreichte Sinnlichkeit.

Rausgehen, geradeaus, nicht nach rechts schauen, nicht nach links schauen und mit klaren Bewegungen eine Liebeserklärung auf die Hauswand zeichnen, abkehren und nichts vergessen auch wenn alles ungesagt blieb. Es bleiben die Bilder, klar.

Flucht ins Atelier, den Arm eines violetten Affen malen.
Draussen vor dem Fenster färbt sich eine Frau die Haare grün und lächelt.

Vierundzwanzig Stunden dabei sein und doch nur das gewinnen, was man am Tag zuvor schon hatte, Bilder, ganz klar.

Ich bin geboren, werde sterben.
Dazwischen: grosse Liebe, kleine Liebe, endlose Liebe, beim Erwachen und Vergehen, für die Dinge und die Lebewesen.

Talkmaster: Wenn sie sich etwas wünschen könnten?

Rehborn: Einhundert sehr gute Bilder, einhundert gute Bilder und einhundert brauchbare Bilder, zehn schlechte Bilder, maximal. Leben und sterben neben einem offenen Fenster, einem offenen Farbeimer, mit offenen Augen, die manchmal gesehen werden.

Am Ende wie am Anfang, alleine mit mir selbst in einem Meer von Zeichen, jeden Tag neu filtern und verstehen. Wer war froh, dass es mich gab? Bilder, ganz klar.

© Hagen Rehborn 2009

Mittwoch, 29. Juli 2009

Silly Season 2009-Vorschau & Rückschau



















30. Juli - 28. August 2009

Vernissage: 30.07.09, 18.30-21.30 Uhr

Kunstraum H&H
Buttermarkt 17-19
50667 Köln





Samstag, 2. Mai 2009

Bizarre Säuger - Rede zur Vernissage



„Bizarre Säuger“


Rede zur Eröffnung der Ausstellung

Das Natürliche verkünstlichen und das Künstliche natürlich machen“


von

Hagen Rehborn


in der Galerie auf Zeit

am 13.04. 2009 in Braunschweig

von


Prof. Dr. rer.nat. Werner Deutsch


Technische Universität Braunschweig

„Histoire naturelle“ hat Max Ernst ein 1923 gemaltes Diptychon genannt, dessen Hälften heute an zwei verschiedenen Orten ausgestellt sind – die eine Hälfte in der alten Welt, in der Kunstsammlung des Landes Nordrheinwestfalen in Düsseldorf, die andere Hälfte in der neuen Welt, im Museum for Modern Art in New York.


„Historie naturelle“ ist und bleibt ein rätselhaftes Bild, insbesondere, was die Rolle des Menschen angeht. Auf jeder Hälfte kommt der Mensch nur indirekt bzw. partiell vor. In der Düsseldorfer Hälfte ist eine aus regelmäßigen Steinen zusammengesetzte Mauer mit einem Fenster und einer Tür zu sehen, über die ein Muttertier, vielleicht ein Ameisenbär, mit ihrem Baby auf dem Rücken balanciert. Die Mauer – ein Artefakt des Menschen, das in die „Histoire naturelle“ eingedrungen ist. Sie hindert die auf der linken Bildhälfte dargestellte wilde Natur mit Pflanzen, Bäumen, Früchten, Insekten und Kriechtieren an ihrer weiteren Ausdehnung. Was sich hinter der Mauer abspielt, bleibt dem Betrachter verschlossen, die Ameisenbärin auf der Mauer hat ihm dieses Wissen voraus.


Die Hälfte aus New York trägt den Titel „At the first clear word“. Auch sie zeigt nur einen Teil und nicht den ganzen Menschen. Die Finger einer menschlichen Hand halten Fäden zusammen, die mit roten Beeren verbunden sind. Wie bei der Düsseldorfer Hälfte begrenzt eine Wand den Raum, der unabhängig von menschlichen Einflüssen gewesen ist.


Auf beiden Hälften werden einsehbare und nicht einsehbare Teile der Naturgeschichte miteinander verbunden – durch Öffnungen wie Fenster und Türen, aber auch durch Bewegungen wie das Klettervermögen eines Tieres und die feinmotorischen Bewegungen einer Hand, durch die das Ziehen von Fäden überhaupt erst möglich wird.


In Max Ernst surrealistischem Gemälde geht es um Grenzen und Grenzüberschreitungen, Grenzen, die Natur und Kultur voneinander trennen, und Grenzüberschreitungen, die Verbindungen zwischen Natur und Kultur ermöglichen.


Max Ernst und Hagen Rehborn sind Verwandte im Geiste, die, drei Generationen voneinander getrennt, beide an benachbarten Orten im Rheinland aufgewachsen sind. Beide beschäftigen sich mit dem Verhältnis von Natur und Kultur.

In der Bildsprache von Max Ernst dominiert die Welt der Pflanzen und Insekten, deren Ausbreitung artefizielle, d. h. vom Menschen verursachte Grenzen gesetzt werden. Bei Hagen Rehborn dominieren Menschen und Hunde bzw. Affen als Stellvertreter für die Welt der Säugetiere. Es geht um das Neben- und Miteinander von Arten, die in der Evolution nacheinander entstanden sind. Wie menschlich können Hunde werden, und wie hündisch können Menschen sein? Weder Max Ernst noch Hagen Rehborn inszenieren eine naturalistische Zeitreise, in der Stufen der Evolution rekonstruiert werden. Sie illustrieren auch nicht den Schöpfungsbericht der Bibel oder die Evolutionstheorie, sondern zeigen, wo die Evolution bzw. die Schöpfung angekommen ist – bei Grenzen, die durchlässig sind und deshalb Neues entstehen lassen, das - und jetzt sind wir auch beim Titel der Ausstellung angelangt – erst durch den Kontakt von Natur und Kultur entsteht. Die Beeinflussung geht in beide Richtungen – das Künstliche wird natürlich und das Natürliche wird künstlich. Was Max Ernst nur andeutet und damit der Phantasie des Betrachters überlässt, wird von Hagen Rehborn geradezu schonungslos offengelegt. Der Dackel Waldi, treuer Begleiter eines jeden Jägers alter Art, wird mimisch ein Mensch, aber sein Speichel fließt weiter ungebremst von Zivilisationshemmungen. Waldi sabbert, wann und wo ihm danach zumute ist. Und der Mensch? Nachdem er auf den Hund gekommen ist, weiß er manchmal nicht mehr, ob die wichtigste natürliche Grenze zwischen Menschen, der Geschlechterunterschied, für ihn noch gilt. Ist ER vielleicht – manchmal – eine SIE, und SIE – manchmal – ein ER? Ist das Spiel mit den Geschlechterrollen nur eine von Verstellung und Verkleidung lebende Travestie? Oder ist das so genannte Quergeschlecht bereits eine als natürlich erlebte Aufhebung von kulturell gesetzten Stereotypen? Ist eine biotechnisch geprägte neue Evolution im Gange, die den sexuellen Dimorphismus überwindet?


Ich halte Hagen Rehborns „Bizarre Säuger“, mit denen wir in dieser Ausstellung Bekanntschaft machen, für ein Weiterdenken von Max Ernsts „Histoire naturelle“. Dieses Weiterdenken ist notwendig, um nicht von der Scilla futuristischer Sirenen und der Charybdis traditioneller Unkenrufe vereinnahmt zu werden. Dann können Menschen Wege finden, bei denen Natur und Kultur zu Partnern werden.

In malerischer Hinsicht knüpfen Hagen Rehborns bizarre Säuger an die Farbkünste eines lange Zeit verkannten Malers, des Belgiers James Ensor, an und bereichern dessen Farbpalette durch schrille Kontraste wie das Aufeinandertreffen von Grasgrün und Signalrot. Mancher Betrachter erlebt hier vielleicht einen Farbschock.


Mit Hilfe unterschiedlicher Medien wie Skulptur, Zeichnung, Malerei, Gemälde und Video drückt Hagen Rehborn das aus, was seiner Pandora irritierender Überzeichnungen entspringt. Er scheut sich nicht, selbst das darzustellen, was er seinen fingierten Menschen und Tieren zumutet bzw. erlaubt.


In dieser Ausstellung kann jeder die gleichzeitig verunsichernde und erhellende Potenz eines Künstlers kennen lernen, den die tonangebenen Medien und Institutionen merkwürdigerweise, wie ich finde, bis jetzt unbeachtet gelassen haben. Die Galerie auf Zeit macht es möglich, hier Hagen Rehborns bizarre Säuger zu sehen. Deshalb gilt auch mein besonderer Dank Hans-Gerd Hahn, Ingrid Graßmann-Hahn und dem Fanclub der Galerie auf Zeit. Ausstellungen wie diese machen deutlich, worum es bei Kunst und Kultur heute geht. Werner Schroeter, ein anderer Wahlverwandter von Hagen Rehborn, hat das kürzlich so treffend auf den Punkt gebracht, dass ich einem Zitat aus einem Interview mit ihm (Die Welt, 3. April 2009) das letzte Wort in meiner Einführung geben möchte.


Deshalb danke ich Ihnen schon jetzt für Ihre Aufmerksamkeit!


„Kunst und Kultur sind die einzigen Waffen gegen die Barbarei. Gegen das Brutale steht die Verfeinerung, die Fantasie des Menschen. Kunst ist gleichzeitig die schutzlose Behauptung eines Anderen. Man kann das kreative Moment gar nicht genug fördern. Sie ist das einzige, was die Seele und das Herz, den Geist und den Körper in Bewegung hält.“


© Prof. Werner Deutsch 2009


Mittwoch, 8. April 2009

Ausstellung: galerie auf zeit- räume für kunst, braunschweig





















Ausstellung in der galerie auf zeit - räume für kunst, braunschweig

"Das Natürliche verkünstlichen und das Künstliche natürlich machen."

Eine Ausstellung von Hagen Rehborn

Vernissage: 13.04.2009

bis 08.05.2009

Finissage 08.05.2009, 19 Uhr mit Lesung und "Künstlergespräch"

Nähere Informationen finden Sie unter www.abertrotzdem.com

la chasse


















la chasse


das aussehen der dinge, wenn wir sie nicht gefunden haben,
bleibt wahrscheinlich nahezu unverändert

wir sind anders
wir haben geschwitzt
wir haben gekeucht
seitenstechen, feuchte hände
bewegung im unterholz,
raschelnde tauben explodieren im schrotregen
grau-blau-weisse federn sinken zu boden

rennen durch feuchte wiesen, das wasser unter dem stoff der beinkleider
rinnt in die schuhe
knierschendes geröll unter den sohlen, am hang abgerutscht,
fussgelenk nach innen gedreht
lehm klebt am knie

das natürliche verkünstlichen und das künstliche natürlich machen

vorbei an baumstämmen, an den schnittkanten rote zeichen
spaziergänger(innen) am saum der fichtenschonung
violettfarbenes gesicht im sonnenlicht starrt unsere flinte
und dann unseren gesichtsschweiss an
wir haben uns noch nie gesehen

vorrübergehend,
gewehr im anschlag, volle ladung auf ein rotbraunes rind
neben dem ausgeblichenen baumstumpf
sie geht rasch vorbei und schaut nieder auf den sandigen weg

später werden wir sie in unserem anthrazitfarbenen jeep
auf der getrockneten landstrasse überholen
rote hände

das rind liegt nicht auf der rückbank
zu schwer

das aussehen der dinge wird, wenn wir sie gefunden haben,
sehr wahrscheinlich anders sein

© Hagen Rehborn 2009