Montag, 22. September 2008

Desaströse Umstände


















Vergeben Chancen, vertane Möglichkeiten, passives Verharren,
undeutliche Äusserungen, falsche Diplomatie, undiplomatisches Auftreten,
ungehörige Äusserungen, verfängliche Gespräche, ehrliche Überforderung,
Ausbeutung, Vertrauensmissbrauch, allgemein verschlechterte Umstände,
unliebsame Beweise, unangepasstes Auftreten, Verzerrung der wahrhaftigen Vorgänge,
schwach ausgeprägtes Pflichtgefühl, unsaubere Arbeitsweise,
versteckte Kontrolle, Denunziation, Machtgefälle,
vertane Chancen, vertane Möglichkeiten,
unnütze Fehlerquellen, Schwachstellen auf beiden Seiten,
niederschmetternder Vertrauensentzug, ungläubiges Staunen

Schatzi, du bist mein Traum,

verunreinigen sie bitte nicht unser Unternehmen, es unternimmt gerade etwas gegen sie!

© Hagen Rehborn 2005/2008

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Sonntag, 14. September 2008

Der Flüchtende


















Fahrtzeit eineinhalb Stunden.
Boulevard der Träume,
Boulevard im Schnee.
Du, der Kamm der Welle, sie kippt, das Glück schüttet sich in einen Eimer aus rotem Plastik.
Widerstandsfreie Parade junger Menschen zu abgenuckelten Orten des Verkehrsstillstandes.
Wer immer Du auch sein magst Gott, pack deine Sachen und hau ab!

Fluchtplan: Paris 21.10 Uhr, Air France 21.45 Uhr, letzter Flug, müdes Personal, umsteigen in Los Angeles, die andere Richtung ist immer die richtige.
Keramikmesser werden beim Check-In tatsächlich nicht gefunden.
Ein gefundenes Fressen für meine Söhne, fliegen wie ein Adler auf dieser Welle, diese eine Welle ...

Nichts wird mich halten, ich werde in den Tatooladen gehen, meine Zeichnung herausholen und dem Mann beim Studieren den Kopf abschlagen, 
das Papier, voller kleiner roter Spritzer, eine Spitzenzeichnung, Rekordpreis für Konzept - Art 2005, 
Wal-Mart und die Tüten.

Marseille Hauptbahnhof an 22.55 Uhr, 
Du auf dem Bahnsteig, eine alte Zeitung unter dem Arm, ich liebe das.
Die Zeitung durchtränkt mit Balsamterpentin, Buchstaben auf transparenter gräulicher Fläche, das ist, was du anfassen sollst, mit deinen wunder-, wunderbaren Fingern.
Weiße Nägel auf brauner Haut, die Klappen eines Saxophones.

Letzter Aufruf, Sydney 03.15 Uhr Europäischer Zeit, 
Bambus Haine weltweit, von dort nur noch ca. 2000 km.

Mein jüngster Sohn hätte gesagt: Ja, Pappa, ich will das Auto fahren, im Herbst, so schnell, endlose Wege an grauen Grachten vorbei, die Unmöglichkeit zu vergessen, was nie stattgefunden hat.
Halte meine Hand, ich werde alt und muß stets lauter schreien, eine Insel im Strudel, das Grab der Gefühle für eine gescheiterte Liebe zu mir selbst.
Was für ein Gejammere, du Schwächling, so wirst Du nie mein Sohn sein.

Boulevard der Träume,
Boulevard im Schnee.
Ein Einbaum im späten Abendlicht.
Dunkle Kreise auf Deiner Haut, was für eine fixe Idee, die Welle bricht, der Kamm schlägt auf die gekräuselten Spiele unterhalb Deiner Knie.
Vorbei, vorbei, vorbei gehst du am Ende.

© Hagen Rehborn 2005/2008

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Dran bleiben!


















Dranbleiben

Was auch immer Sie finden, wo auch immer Sie suchen,
bleiben Sie dran!
Verirren sie sich nicht im Gestrüpp ihres Vorgartens,
schauen sie auch nach rechts und links
und schlagen sie dann rasch ihrem Nachbarn den Spaten vor den Kopf.

Wo auch immer er das Osternest dieses Jahr versteckt haben mag, er kann nun mit niemandem mehr darüber sprechen.
Sie werden es als erster finden und das tun, was Sie schon seit Jahren machen wollten:
das Nest zum Wohnzimmerfenster des Nachbarhauses tragen und dort mit Schwung feste auf die Scheibe drücken.

Was auch immer dann passieren wird, schauen Sie nicht nach links oder rechts,
schauen Sie den Kindern des Nachbarn, welche sich durch das Nest und ihre Erscheinung im Fenster vom laut brüllenden Fernseher abgewendet haben, direkt in die Augen, und dann schreien Sie aus voller Kehle:

Dran bleiben Kinder!


© Hagen Rehborn 2005/2008

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Dienstag, 2. September 2008

Vorfall im Discounter






















Vorfall im Supermarkt

Ein Besuch im Discounter macht glücklich.
Der Parkplatz ist gross und weit, egal wann man kommt, es gibt es eine ausreichende Menge von Stellplätzen. Alles ist rein und sauber. Zeitraubende Ablenkung ist nicht vorgesehen. Die Einkaufwagen sind immer da, vor ihnen ein kurzer Blick auf die kommenden Angebote, dann mit der randvollen Ikeatasche zum Pfandabgaberaum, in dem es stets ein wenig nach vergorenem Traubenmost riecht.
Das Einlegen der Pfandflaschen ist dann doch ein wenig aufregend:
Wird die Maschine meine Flasche ausnahmslos schlucken oder wird es abweichende, lesegestörte Ausfälle geben, für die ich zwar einmal Pfand bezahlt habe, aber für die ich nun zunächst keinen Rückbong erhalten werde? Wird die Maschine die Flaschen wie einen elastischen Punching Ball mir entgegenwürgen und dabei laut schreiend alle die hinter mir stehen darauf aufmerksam machen, dass ich vorsätzlichen Pfandbetrug begehn will?
Aber ich kann doch nichts dafür! Diese Flaschen sind im gleichen Discounter gekauft worden, nein ich habe sie sogar selber in diesem Discounter gekauft. Ich weiss es, ich kann es beschwören, ich kann es der Welt beim Leben meiner ungeborenen Kinder auf Knien entgegenschreien: Ich betrüge meinen Lieblingsdiscounter nicht! Ich betrüge doch niemanden ...
Ich schaue auf und da halte ich das unglaubliche in der Hand, ich ziehe sie aus der blauen Ikeatasche und schon bevor ich versuche sie in den Ladeschacht zu stecken, sehe ich es mit unvorstellbarer Fassungslosigkeit: die Flasche hat keine Banderole. Einfach nichts, blanker halbopaker Kunststoff, da wo eine Pfandflaschenmarkierung sein sollte, nur die Flasche. Der unversehrte Flaschenhals belegt das andere Unvorstellbare: da war nie eine Banderole, dort ist nie eine Banderole angebracht worden, was bedeutet, dass ich völlig unverschuldet in diese missliche Peinlichkeit geraten bin. Diese Flasche kann nie geschreddert werden, weil niemals ein Pfandlogo auf sie geklebt worden ist und ich Schaf habe trotzdem Pfand entrichten müssen. Nichtsdestotrotz stecke ich die Flasche mit erhabener Gleichgültigkeit in die Maschine, was kann ich schliesslich dafür? Sie kommt natürlich mit Alarmpiepsen zurück aus dem Schacht auf mich zu, dabei blinkt die Beleuchtung wie bei einem Polizei Noteinsatz. Tatutata, diese Flasche will hier nicht rein, sie muss ganz illegal sein
Ein Herstellungsfehler könnte mir das Konsumentengenick brechen.
Ich entnehme benommen den Pfandbon und entwinde mich den fassungslosen Blicken der hinter mir Gaffenden.

Im Laden fülle ich ohne weitere Vorkommnisse meinen Einkaufswagen, in dem noch die leere Flasche still vor sich hin leuchtet.
An der Kasse gibt es ein kurzes Anstehen, Auflegen der Artikel aus dem Wagen auf das Band und Zuschauen, wie die Frau vor mir sich zum bezahlen anschickt. Leichtes Herzklopfen, feuchte Stirn, ich bereite mich auf meinen Satz vor: "Diese Flasche nimmt der Automat nicht an, ich habe die Banderole nicht abgemacht, die Flasche muss sich schon so im Sechserpack beim Kauf befunden haben."
Plötzliches Stocken bei der Kundin vor mir. Sie hat noch eine Tüte voller Pfandflaschen in ihrem Einkaufswagen, den sie nun mit der Bemerkung, der Automat sei nach diesem jungen Herrn, sie weist mit dem Finger auf mich, ausgefallen und sie wolle sie nun hier an der Kasse abgeben. Die Kassierin reagiert spontan ablehnend und formuliert: Wenn der Automat ausgefallen sei, so könne sie ja nichts dafür und von ihrem Chef habe sie die eindeutige Anweisung erhalten keine Pfandflaschen entgegenzunehmen.
Die Kundin ist freundlich, aber bestimmt und kontert, dass sie ja nun nicht für das Ausfallen der Maschine verantwortlich sei und sie nun schlecht das Pfandgut wieder mit nach Hause nehmen könne. Die Kassiererin hält das aber für einen ausgezeichnete Idee und bestärkt die Kundin durch die Formulierung des Satzes: "Sie können die Flaschen ja bei ihrem nächsten Besuch wieder mitbringen, dann ist die Pfandmaschine sicherlich wieder funktionsfähig, es kommt eh ganz selten zu Komplettausfällen". Die Kundin sieht dies etwas anders und verweist auf die derzeit zwei ausgefallene Maschinen, da ja bereits bei meinem Eintreffen Automat zwei ausser Betrieb war und durch ein dementsprechendes Schild gekennzeichnet war.
Die Kassiererin gestikuliert, mein Kleinhirn oder ist es das Grosshirn, schaltet die akute Schallabtastung zugunsten einer introversen Selbstanhörung aus.
Wenn die da jetzt schon so unfreundlich ist, was mache ich nur mit meiner Flasche?
Vor der Kasse niederknien, Sitzstreik, Verweigerung des Bezahlens bis zur Abwehraufgabe?
Ich schrecke auf, die Kassiererin ist mit dem Zählen der leeren Flaschen beschäftigt. Überraschenderweise scheint sie diese nun doch anzunehmen, die lächelt sogar und die Kundin strahl über beide Ohren. Ich bin verwirrt, da ich einfach nicht bemerkt habe, wie die Kundin diesen Sinneswandel herbeigeführt haben könnte.
Ich bin an der Reihe. Ich stelle mich rechts von der Kasse auf und nehme die Waren nach dem Scannen in meinen Einkaufswagen. Nach wenigen Teilen halte ich die leere Flasche hoch und sage der Kassierin, dass der Automat vor seinem Ausfall diese Flasche nicht angenommen habe. Sie entgegnet darauf, dass der Automat grundsätzlich keine Flaschen ohne Banderole annehme. Ich sagte daraufhin, dass ich dies gemerkt habe und sie dies nun gegen Erstattung des Pfandes machen solle. Sie entgegnet bestimmt, nachdem sie nun meinen gesamten Einkauf gescanned hat, sie könne die Flasche nicht annehmen, weil sie von ihrem Chef die Anweisung habe, dies nicht zu tun. Ich bleibe standhaft, sie wiederholt gebetsmühlenhaft, ihr Chef würde hier entscheiden und sie könne das nicht alleine Verantworten. Ich beginne zu schwitzen, ein leichter Schwindel bemächtigt sich meines Gesichtsfeldes. Eine Pause entsteht, ich überlege nicht, sondern handle intuitiv:
"Nah ja, keine persönliche Verantwortung übernehmen, das hatten wir ins Deutschland ja schon mal, das Ergebnis war, wie doch wissen sollten, verheerend …"
Autsch! Mein schnell ansteigender Stresspegel hatte mich vergessen lassen, dass ich nicht alleine an der Kasse bin und nun bemerke ich von den anderen an der Kasse anstehenden Kunden lautartige Reaktionen, die mich aufschrecken lassen.

"Jetzt mach aber mal hinne, Mann", ruft der Dicke hinter mir, der auch eine mächtige Tüte voller Pfandflaschen im Wagen liegen hat.
"Solche Belehrungen brauchen wir hier nicht", schallt es von der Nachbarkasse, die Frau hat offenbar noch lebhafte Erinnerungen an eine für sie glorreichere deutsche Vergangenheit. Ich gehe zu Nachbarkasse rüber und sage sehr laut zu ihr: "Mit Ihnen rede ich nicht, wieso fühlen sie sich jetzt denn bitte angesprochen?"
Die Leute in meiner Kassenschlange äussern sich nun bedeutend lauter und fordern mich unverholen zum bezahlen auf.
Ich verspüre Todesangst. Die Kassiererin schüttelt unentwegt den Kopf und murmelt etwas von ihrem Chef und nimmt, während sie mich verspannt anstarrt die Flasche und tippt die Pfandrückgabe ein. Minus fünfundzwanzig Cent.
Bingo! Mein Stresspegel sinkt heftig und ich höre beim Verlassen des Geschäftes, wie der Dicke anfängt mit der Kassiererin zu debattieren. "Mein Chef möchte das aber nicht ..."

Marktwirtschaft macht frei. Ich habe es bisher geschafft weder ein weiteres Mal in dieser Gegend einzukaufen, noch diesen Discounter überhaupt zu frequentieren, aber in diesem Land gibt es nur eine ernstzunehmende Alternative, alles andere könnte ich mir nicht wirklich leisten, nur eine Frage der Zeit, wann es da zu echten Entscheidungsengpässen kommen wird.

© Hagen Rehborn 2008

Mittwoch, 18. Juni 2008

Nan Hoover, wie Schwarz und Weiss, Licht und Schatten. Die Unendlichkeit der Dinge.


Nan Hoover, wie Schwarz und Weiss, Licht und Schatten. Die Unendlichkeit der Dinge.



Zugfahrt Köln-Berlin 16.06.2008

Tod von Nan Hoover vor einer Woche.
Trauerfeierlichkeit um 17.30 Uhr in Berlin Westend.

Die Nachricht von Nan's Tod erreichte mich letzten Donnerstag per e-mail.

Ich habe bei Nan Hoover mein Studium an der Kunstakademie Düsseldorf begonnen, als Wechsel von der staatlichen Hochschule der Künste in Utrecht, Niederlande.
Von Nan habe ich erfahren, als ich cira ein Jahr zuvor, 1992, den Bruder einer Feundin kennenlernte, der bei Nan mit seiner Partnerin zusammen Video und Fotografie studierte.

Ich habe nach Vereinbarung an einem Vormittag meine Sachen vor ihrem Büro im ruhigen Rheinflügel der Akademie Düsseldorf aufgebaut und sie schien wohlwollend zu sein, mit der Frage "Do you like parties?" gab sie mir die Zusage in ihre Klasse zu wechseln.
Ich erinnere mich noch an mein Erstaunen, dass sie scheinbar weniger nach der künstlerischen Arbeit beurteilte, als nach ihrem Eindruck vom menschlichen Charakterpotenzial und dass mein heiss ersehnter Wechsel an die angeblich berühmteste Kunstakademie der Welt so schnell und unspektakulär erfolgte.
Schon kurze Zeit später habe ich für sie privat gearbeitet, als künstlerischer Assistent, dann auch bei ihren Lehraufträgen an der Sommerakademie in Salzburg als Videoassistent, ich war Tutor der Klasse und habe viele wunderbare Stunden mit Nan gehabt, Geburtstage, Austellungen, Parties, Vernissagen, Zugfahrten, immer wieder schwer bepackt Aufbauten ihrer Installationen, Bohren, Schrauben, Anmalen, Sägen, Kampf mit Wänden. Spektakuläres Leben, immer wieder Neues und Fremdes.
Ich habe Holzplanken und Farbeimer geschleppt, 7,5 Tonner gefahren, Badezimmer geputzt und mich mit etwas anstrengenden Menschen auseinandergesetzt.
Es hat alles viel Spass gemacht. Es war reich und voller Esprit.
So war Nan's Leben, dazwischen gab es aber auch Stille und Ruhe, Schonzeiten vor neuen Projekten.

Nan's Leben war stark konzentriert auf die Kunst und deren Platzierung im gesellschaftlichen Kontext, ihre Arbeiten waren der Antrieb für ihr Dasein, dem ordnete sie viele sogenannte private Lebensaspekte unter, bis hin zu ihrer Gesundheit. Sie baute Austellungen auch unter starken Schmerzen auf.

Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie eine gute Geschäftsfrau war, sie hatte ein ausgeprägtes Ehrgefühl und wollte nicht alles dem Mammon Geld unterordnen. Als freizügiger und philantrophischer Mensch wurde sie häufig ausgenutzt und sie wusste das sehr genau.

Gemeinsames Arbeitsleben kann man es nennen, auch wenn ich nicht in Düsseldorf wohnte, war ich doch häufig auch ausserhalb des Akademiekontextes dort und habe an vielen professionellen Aspekten ihres Lebens teilgenommen. Sie kaufte mir einen Anrufbeantworter und meine damaligen Mitbewohner erinnern sich noch heute an lange Nachrichten über Projekte und Aufträge.
Mein Studium plätscherte dahin, Nan förderte mich im Rahmen Ihrer Möglichkeiten, ich nahm an Austellungen teil und bemerkte, dass mich vieles im Akademie- und Kunstbetrieb enervierte, aber nach den Erfahrungen in universitären Strukturen war es trotzdem ein neues Lebensgefühl.
Ich empfand mich noch als sehr jung und unreif, dieser Eindruck ist der Erkenntnis gewichen, dass ich nun, mehr als dreizehn Jahre später, nicht viel weiser geworden bin, nur etwas ernsthafter.

Nan war auch ein wenig eine intellektuelle und emotionale Mutter für mich, sie füllte damit eine vakante Stelle in meinen Beziehungsmustern. Auch deshalb hatte sie einen ernormen Einfluss auf mein Lebensgefühl. Das, was ich als das Sein im Dasein bezeichnen würde.
Sie sprach nicht viel über die Vergangenheit, aber man wusste schnell, dass sie ihre Rolle als attraktive sexuell aktive Frau vermisste und das Alter nur bedingt willkommen hiess.

Der Tabubruch hatte ihr privates Leben zeitweilig bestimmt, in einer Zeit, als man darüber sprach und es als Lebensgefühl propagierte, setzte sie ihre Ansprüche an ein selbstbestimmtes Leben als Frau und Künstlerin konkret um. Dies war nicht möglich ohne den Bruch oder die Beschädigung wichtiger emotionaler Beziehung. Sie bedauerte dies zeitlebens.

1994 machte sie mich zu ihrem Meisterschüler. Diese Auszeichnung dürfte im Allgemeinen eher ein formaler Akt sein, ich denke heute, dass es bei mir die Feststellung einer Lebensrealität war.
Was uns verband waren auch Wesensverwandtschaften.
Unachgiebigkeit, Starrsinn, Kampfesbereitschaft, Verträumtheit, Stolz, Selbstbewusstsein und Verwundbarkeit teilten wir, jedenfalls manchmal.

Wir wahrten dabei eine Distanz und Abgrenzung, die unserem grossen Altersunterschied und unseren völlig unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen gerecht wurde. Auch deshalb konnten wir Schwächen aneinander schätzen.

1995 wurde unsere Zusammenarbeit nochmals enger, ich wurde ihr Assistent bei einer Theaterproduktion in Bremen.

In deren Verlauf kam es für mich völlig überraschen zum Zerwürfnis, sie fühlte sich schon zu Beginn von mir nicht richtig behandelt, sie fand ich sei unzuverlässig.
Ich nahm eher wahr, dass ihr die Kosten für meine Arbeit durch Zugfahrten und Hotelaufenthalte über den Kopf wuchsen. 
Als ich während der Produktion erkrankte und fiebernd im Bett lag, hat sie mich telefonisch über meine Kündigung unterrichtet. 
Ich wehrte mich und fiel in Ungnade.
Sie verweigerte mir an der Akademie die Unterschrift zum nächsten Semester. Der Abschluss des Akademiebriefes schien unmöglich, ich suchte eine neue Klasse, ausweglos. Dann intervenierte Nan in der Einsicht, dass diese Angelegenheit nicht meine akademische Laufbahn tangieren dürfte. Im Laufe des kommenden Semsters verliess ich die Akademie mit dem Abschluss und der Gewissheit nun künstlerisch auf mich selbst gestellt zu sein. Trotz ihrer kategorischen Haltung, ist sie über ihren Schatten gesprungen und hat es geschafft die Dinge zu differenzieren.

Wir haben uns danach noch wenige Male gesprochen, beide voll gekränktem Stolz und dem Unvermögen unsere Grenzen zu überschreiten, aber dennnoch voller warmer Sympathie füreinander, was kein Wiederspruch sein muss.
Es gibt nichts zu bereuen, wohl zu bedauern, dass das Leben merkwürdige und unergründliche Wege geht.

Ich habe Nan als Menschen geliebt und immer in meinem Herzen bewahrt. Ich weiss, dass es bei ihr auch so war.
Sie hat mein Leben sehr geprägt und wirkt auch heute noch in meinem Denken und Fühlen mit. Ihre Kunst und das was ich ihren unbrechbaren Willen zur Selbstverwirklichung nennen möchte, halte ich in meiner Erinnerung wach.

Ich bin mir sicher, dass man sie als Künstlerin und exzeptionellen Menschen in Erinnerung behalten wird.
Sollte es Erlösung geben, so wünschen wir sie allen, die wir lieben und liebten.
Ich bin mir sicher, dass Nan Erlösung erlagen wird.

Würde ich sie irgendwann einmal wiedertreffen, so würde sie mich als erstes fragen: 
"Are you working Hagen?" Und ich würde sagen: "Yes Nan, I am working."

Nan ist der erste Todesfall seit Jahrzehnten in meinem Freundeskreis und ich stelle fest, dass ich ernsthaft beginne über den Tod nachzudenken, auch wenn ich zuvor manchmal darüber gesprochen habe ...
Ich bedaure, dass es keinen Grabstein geben wird, an dem ihre Schüler, Bewunderer und Freunde in stillem Gedenken Blumen hinterlegen könnten.

Nan wird sich dabei etwas gedacht haben, das ist sicher, denn auch wenn sie sehr spontan wirken konnte, verlor sie nie den grossen Plan aus den Augen. Ihren grossen Plan. Das Leben, die Kunst, die Liebe, der Tod und die Unendlichkeit.

Alles gehört zusammen, wie Schwarz und Weiss, Licht und Schatten.

Wer wusste mehr darüber als die Küstlerin Nan Hoover.

Donnerstag, 6. März 2008

Taking the dog for a walk


The dog is turning back, the man attaches the leash with the snap hook at the dog collar. The dog waggles and now they are both walking along the road, approximately 200 meters till the end of the line of the houses. There the lane disembogues into a sidewalk, seperated by roadblocks.The dog snuffles and raises his leg at a hedge fringe, the man pulls him away quickly. The forest is in immediate nearness. It is humid, it was raining just some minutes ago. The trees are very green and dense, the forestground is braun, moist and on some spots it is covered with light fouling. It smells like soil and grass. The dog pulls the leash. While passing the roadblocks it has exceptionally taken, the side at which one could pass by holding the leash. Else it always takes the side where you have to pull it backwards, therewith the arm wont get caught by relinquishing the leash. The man pulls the dog to his side and detaches the the snap hook. The dog is very much exited and bears down to a neap shrub to urinate. At the woodside the path is only covered with grid and turns around a corner through a stock of poplars. The dog runs ahead. The man summons the dog. The dog turns back, runs towards the man, waggles and reverses again to follow the path with a fast footfall. The man follows the dog. Behind the poplars, which are brawling softly in the wind, there is a water located in a glade. The forestpond. The man can‘t see the dog anymore. But through the leaves of the trees he sees a person standing on the other side of the pond, it shines whitely. The man accelerates his steps a bit more and crosses the poplars. Now he can oversee the whole pond. The dog stands on the other side, close to a woman which is wearing a white trenchcoat. In front of her stands the dog and a black poodle. The woman removes a stick of the ground and throws it into the water. The dog pounces behind and swimms towards the point, where the water induced little waves accused by the strike hitting the water surface. It wheezes loudly. The black poodle stands on the lightly elevated shore and barks, overlooking the scene, to the water. The man reaches the woman and greets her with a “Hallo“. She looks at him and says “ Good day“. The poodle still contious to bark vehemently at the water. The dog has reached the stick which is swimming in the water and takes hold of it. It wheezes even louder and swimms back holding the stick. Bedraggled it comes out of the water and runs towards the man, stops in front of him, drops the stick and shakes its boddy vigorously. The woman laughs. Her trenchcoat is covered all over with dark waterspots. The poodle is still barking, the woman says: “You old swank, you are nothing but a wimp“. The man laughs. He looks at the woman, then at the dog and fixes it with the leash. The dog shakes it‘s body another time, but only in a tremulous move, which makes his back side mince. The man walks direction to the path an says loudly, having a gaze at the woman: “Good buy“. She smiles and turns towards the poodle, which gets ready to follow the man and retains it by holding the collar. She wispers something into its ear and laughs once more. The man knows a big black poodle in the area around. It is called Ivan. He has seen it some more often in the forst with an about 12 years old girl. This poodle looks pretty much similar to the one of the woman. Also his dog seemed to recognize it, otherwise it would have hummed aggressively. Finally the poodle is a male dog and furthermore his dog doesn‘t like black dogs. The man turns towards the dog and walks with it from the glade into the forest. Actually around him are birches and spruces. The dog pulls the leash, the man takes hold of the collar and unclenches the snap hook. Looking back, he still sees some wite of the womens coat through the trees. Out of a bush flies a blackbird lowly over the path and dissapears with loud yells in another shrubbery. The dog runs forward waggling and snuffles passim the waysides. Being wet, its fur seems to look darker. The sun stands behind the trees, through the birches it shines till the ground of the forest. It is hazy. The man goes further and calls the dog, which turns to the right while reaching a crotch. But the man wants to turn to the left. They cross a sandy path with horse dung. The dog snuffles at the horse dung and the man calls: “Fie!“ The dog looks at the man and runs rapidly further. Now the forest is composed of oaks and maples. The sun doesn‘t reach the ground of the forest anymore. After about one kilometer they reach a glade on which one can already see the bright daylight from far away. On the glade is a soccer field, surrounded by a red tartan runway. The field is surrounded by a head-high fence, on which vetches are trailing along. They are already about to die back. Everywhere its leaves are yellow, but there are still large numbers of big white blossoms, which remain immaculate. The dog runs along the fence, the man looks at the soccer field. It is totaly empty, the wet floor steams a bit, right now it is very sultry. The dog has reached a dust bin on the edge of the field, where there is also a gate in the fence. In front of the dust bin, which hangs on half hight at a metal pole, lays a transparent plastic bag, in which an undefinable content ins wrapped. It‘s size is like the measures of a melon. The dog snuffles at the bag and wrenches it. The man calls it loudly and runs into its direction, astonished the dog looks up till the man reaches. The man takes the bag and throws it into the dust bin. He paws the dogs neck. “Well behaved…, this is bad…“, he says calmingly to the dog, which reconvenes to waggle. Reaching the fence they sharply turn off to the left and follow the course of the tartan runway just for a while. The cloud cover continous to overcast and at the next field corner the dog turns to the right, following the crotch away from the sports field into the forest. The man follows. The path becomes narrower and leads over tree stumps. At some points are hughe puddles. The dog runs just smac through and slobbers a bit of the water. The man walks around the path-bordering stinging nettels. He lifts up his hands for not getting his arms touched by the nettles. Shortly the dog stands still, in order to wait for the man, who fell back a bit because of the plants and puddles. Far away rings out a shot, than a second. The dog pricks up its ears and poises abruptly. After a while they once again cross mutually the sand path for horses and reach again the forest area with the birches and spruces. The air is oppressive. It starts to rain softly, the driblets are like warm water on the skin. The dog deselerates its steps slighly, its interest for the forest eases up since they have taken the same way back like the way they came. The man recognizes the dogs lack of interest and suddenly turns off the path, directly into a coppice of birches. Now the dog follows again flutteringly. The ground is almost impassable, there are many blackberry bushes, that are still small-sized and lead their tendrils like snares over the surface. Occasionally some small and yellow mushrooms are visible. They settle on decayed wood pieces. On a grassy expanse the dog tracks down a culver, which flushes tippily lurching with a whiring noise. It then disappears over the tree top of some spruces. Stricken with hunting feaver the dog runs behind. The man can‘t see it by now, he calls it and follows into its direction. Soon he finds it in front of an ground hollow pointing on three legs, the head turned aside. It is entirely concentrated on the earth hole and just gives the man a short look to restare right into the dark hole again. The man smiles and looks through the birch trunks. Poplars rising much taller behind these start to whoosh in the initiating rain. Through the trees he reconizes, that the forest pond is situated in front of them. He just wants to walk into the ponts direction when he hesitates. Through the trees he can see something swimming in the water. It is a person with dark hair, which dives under for then to turn up buffing and blowing and shaking its head. The man approaches further to the direction of the water and realizes that the women he met before with her black poodle is swimming precisely in the center of the pond. Her dark hair is drenched completely black, her shoulders appear out of the water. They are very much white. She submerges once and at the same time she shows parts of her back, of her butt and her legs, when she dives head first down the water that resembles a dark liquid. The surface of the water dances because of the intensifying rain. The man stares on the pond and hesitates. The dog continues gazing at the earth hole and beginns to extend the inlet by scratching. It growls slightly with it. The man looks over at it and wispers quietly „schschschsch…“. He lifts ostentatiously his finger to his lips. He cowers and once again peers out of the cover to the pond. The woman reappears. She strikes her hair out of the face and grinds it slightly behind her head. Withal she keeps herself with swimming movements of her legs and her hands in a nearly upright position. From time to time her breasts are slightly visible. They are also very white. The dog has begun to burrow very impetuously on the earth hole and at the same time it beginns to bark flutteringly, apparently it has found the scent of an animal and tries to unveil it. The woman turns her head into his direction and tries to observe something in the leaves of the trees. The man hesitates, reasons shortly, stands up and goes briskly through the birches, rather precisely to the point where he first met the woman with the black poodle whose name might be Ivan. The poodle is not visible. She sees him approaching the water and sprawls out her arms, for to wave her hands to a greeting. Withall she elongates her breasts entirely out of the water, in order to sink down again and to laugh alertly in an easy audibly way. The dog in the backgrond barks like crazy. The man turns around and calls it vigorously. The dog continous barking and and whimpers loudly. The man turns around and sees how the woman prepares to dive under head first again. She gives tongue to crowing sound. He reverses and runs back to the dog. This has digged itself in its hunting fever till its neck into the earth hole and barks into the ground. The man grasps it at the collar and pulls it with his last ounce of strength out of the earth hole. The dog is entirely soiled. Its slobber is spread over the whole snout and the earth has spliced with the splitter to some kind of pulp. Its eyes are shedding tears and earthcrumbs are sticked to them. Its fur is covered with remnants of the forest ground. And now it becomes even murkier. The man vigorously pulls the recoiling dog away from the hole and shouts at it. The dog reacts just for some seconds and springs again towards the earth hole. The man takes the leash and wrenches the dog away from the hole and attaches the snap hook at the collar. The dog yowls and its wimpering sounds are flashing over, so that they sound like the squealing of a pic. He tries now in spite of the tighten leash to reach the hole again. As a hunting dog full of energy with enormous strength it wrenches the man once more to the earth hole. The man shouts at the dog frantic of excitation and beats its rear part with the end of the leash. Now the dog is breaking off its fury, throws down, still stucked halfly in the ground and tries to turn whimperingly on its back. The man wrenshes the leash and pulls the dog over the stirred up forest ground away from the earth hole. Yet he sees from an angle of his eye, how a dark bird, not bigger than a dove, fires like an arrow, with an egregious speed out of the earth hole and disappears low-flying over the ground into the direction of the pond.The dog is jumping up entirely gobsmacked and the man follows with his eyes the dark object and then lowers his look over the surface of the pond. The raindrops are dancing on the watersurface. The rain superimposes any other noise. The man pulls the dog to the shore of the pond and looks tensly at the water surface. Meanwhile he himself is very much wet and the rain is running along his nose, so that he has to go with his hand over his face to eleminate the itching drops. The dog clings closely to his right leg, with jammed tale, hanging ears and big eyes. The man stares along the water. Nothing happens. The woman does not resurface. Quietly he counts the seconds. Approximately after the number thirty he beginns to run arround the shore. Nothing moves. Alternately he looks to the pond and the forest. After a few minutes he effetely sits down on a stump of a sawed off poplar, the dog stands with the leash on at close quaters and watches the forest, bedraggled of the rain. The man stares again into the water and dwells convulsively. He unhands the leash, stands up and takes off his shoes. He deposits them on the stump and wades with straddled arms into the water. The ground of the pond is glibbery and pours up between his toes. He has rolled up his trousers. The dog stands at the shore and watches him. When the water beginns to soak the cloth of his trousers he stops, turns around towards the dog and then looks again at the water. The dog lays down and beds his head on the frontpaws. The spittle is washed away by the rain. A little carryover still sticks on his chaps. The man remains in the water comming up to his waist.

© Hagen Rehborn 2007/08, all rights reserved

Samstag, 20. Oktober 2007

Das Ohr


Vor ihm flogen ein paar Strandläufer auf. Anstatt hinter ihn zu fliegen, so dass er sie beim weiterlaufen nicht wieder zwangsläufig aufscheuchen würde, bewegten sie sich immer nur ein paar Meter von ihm fort, so dass er sie mehrfach zum auffliegen brachte, bis sie endlich über den Strand in Richtung Dünen abzogen.
Hier gab es nichts und deshalb alles.
Keine Gebäude keine Bäume, keinen Müll, keinen Lärm und keinen Gestank.
Aber Strandgut welches sich in jeder Mülltonne nicht vom Rest absetzen würde. Ein ziemlich laut tosendes Meer, welches mit Wucht auf den Strand brandete, ein Schiffswrack zwischen den Wellen, welches die Größe mehrerer Kleinwagen haben musste, Fischgestank von toten Einzelexamplaren, die es nicht mal als Futter für grössere geschafft hatten und nackte fette Menschen, die träge unter geschmacklosen Sonnenschirmen dösten.
Das erinnerte ihn wieder an seine prekäre Lage.
Am Ende des Strandes waren nur noch sehr vereinzelt Menschen zu sehen. Diese offenbarte sich, wenn er sich hier im Sand niederließ, als eine lockere Kolonie frustrierter Homosexueller, die schnellen Sex in den Dünen oder andere Albträume suchten. Ihre Begehrlichkeit war anstrengend, gab es als nackter Mann kaum tragfähige Möglichkeiten zu demonstrieren, dass man seine Ruhe haben wollte. Also lief er lieber weiter, am Einlassrohr der Papierfabrik vorbei, die in riesigen Mengen eine braune, scharf stinkende, heiße Brühe ins Meer leitetete. Bis zum nächsten Schiffswrack, welches nur noch bei Ebbe zum Vorschein kam und wo, wenn überhaupt, nur noch Angler in erstaunlicher Beharrlichkeit ihre Ruten ins Wasser warfen. Da konnte man in Ruhe liegen oder im eiskalten Wasser planschen, sich von beißenden Fliegen anfallen lassen und ernüchtert wieder aufbrechen, wenn am Nachmittag der vom Meer kommende Wind Orkanstärke erreichte und den Sand wie in einer Sandstrahlerei aufpeitschte.
Was beruhigte ihn daran?
Es hatte ein Programm, dem er folgen konnte, die ungewisse nahe Zukunft lag bei Punkt zwei und vorher kam Punkt eins, abwarten, bis der Urlaub vorbei war. Dieser Punkt konnte gefüllt werden mit Überlegungen zu Punkt zwei, dies wiederum ließ sich schon am frühen Abend mit Rotwein versüßen, so dass er sich auf körperliche Erfahrungen, wie sonnenheißer Haut, Mückenstichen, Muskelkater vom Laufen, Muskelkater vom Radfahren, Muskelkater vom Schwimmen, nächtlichem oder frühmorgendlichem Masturbieren konzentrieren konnte.
Aus Ermangelung eines Fernsehers las er Unmengen von Zeitungen auf der Dachterrasse und erfuhr so mehr über erfolgreiche Künstler und deren Auftritte in der deutschen Medienlandschaft als ihm lieb war. Es gab sie, die Erfolgreichen, sie reisten in der Welt herum, inszenierten plötzlich sogar Opern, was er sich immer sehnlichst gewünscht hatte, trugen Maßkleidung und redeten unverblümt hohlen Unsinn über die Sinnlosigkeit von Geld und den Segen, den die Gesellschaft an ihrem feinsten und edelsten Geschlecht hätte, den Künstlern.
Sie hatten Assistenten, vereinzelt schon mal fünfzig Stück auf einmal und ließen sich munter lächelnd zwischen ihnen wie in einer Schar Kinder ablichten. Was für ein Segen, was für ein Glück und so viel Ausdruck und wundervoll genutztes Potential.
Eine wohlige Welle wollte sich in seinem Gemüt bei dieser Lektüre nicht breit machen.
Es war zu viel Glück, zu viel „sich durchsetzen auf dem Markt“, wie es ein bekannter Chefredakteur einer allseits bekannten Kunstillustrierten für unbekannte Seidenmalkursbesucherinnen einst genannt hatte: „Wenn sich ein junger Künstler erst auf dem Markt durchgesetzt hatte, dann …, ja dann, dann …
Dann konnte er davon ausgehen, dass dies ein für ihn verpasster Akt sein musste.
Die letzte Ausstellung wurde trotz räumlicher Entfernung von vielen seiner Freunde gesehen, man besuchte sie, weil man ihn mochte, sogar sein fünf Monate altes Patenkind war da.
Die Eröffnung hatte familiären Charakter, sein Freund war da und ein paar Freunde des Ausstellungsorganisators, dessen Freund, ein Psychologe, wollte sogar einen Text über die Arbeiten verfassen. In einer Preview hatte er beglückt festgestellt, seine Exponate und der Ausstellungszusammenhang seien wirklich überzeugend. Ein künftiger Förderer?
Neue Perspektiven sich mit intelligenten und sensiblen Menschen über die Komplexität des Kreativen auseinanderzusetzen?
Seine Knie schmerzten da noch recht ordentlich, jetzt, nach vielen Stunden mit Nordic Walking Stöcken im weichen Sand, fühlten sie sich spürbar besser an. Im letzten Jahr bei einem Besuch der angeblich zeitgeistig angesagten Galerien im Viertel um die Auguststraße in Berlin, in welchem sich die Menschen einem ruhigen, gesättigten und doch inspirierten Denken und Leben widmen könnten, hatte er noch starke Schmerzen und nur noch sehr wenig Sex mit seinem Freund.
Sex mit schmerzenden Knien ist sehr kompliziert, fast unmöglich. Er zwingt einen reglos zu bleiben und zu hoffen, dass die Schmerzen für die nächsten Minuten nicht wieder auftauchen. Unvereinbar mit seinem eher drängenden Naturell.
Der Eindruck, den die Ausstellungen und Galerien hinterlassen hatten war dem Schmerz in den Knien ähnlich gewesen, bornierte Angestellte oder Betreiber, deren Fähigkeit oder Bereitschaft zur Kunstvermittlung gegen Null ging und sich sicher nicht vorstellen können wie man sich fühlt, wenn man einen hellen Ausstellungsraum betritt und von einer strategisch günstigen Stelle aus von einer fremden Person, die an einem Schreibtisch sitzt, gemustert wird. Von den gezeigten künstlerischen Arbeiten ganz zu schweigen, so unsinnlich, so ungekonnt, aber es gab Ausnahmen …
In dieser Zeit intensivierte sich sein Nachdenken über das Scheitern.
Die Intensität der Empfindungen stumpfte ab. Es gab in erster Linie das Ziel durch den Tag, die Woche, den Monat zu kommen. Sein Geliebter war sehr geduldig mit ihm, er war nicht so geduldig mit ihm. Der Geliebte verzog sich etwas um Abstand zu bekommen, da hatte er noch etwas, was er vermissen konnte.
Er wollte sich selbst spüren und konnte es eigentlich nicht ertragen.
Er wohnte zwischen der Autobahn und dem Flughafen. Der Lärm erinnerte an das Rauschen der Brandung, die Wände der Autobahnunterführungen waren mit dümmlicher Graffiti zugesprüht. Durch sie hindurch gingen die idiotischen Jugendlichen, die sie aufgesprüht hatten. Er konnte zu Fuss zum Abflug gehen um jemanden in einer anderen Stadt besuchen zu fliegen. Das hatte er vor dem Knie Problem häufiger gemacht, dann erstmal nicht mehr. Das lag auch daran, dass das Geld immer knapper wurde. Seitdem er freiberuflich ohne festen Nebenjob versuchte zu überleben, kam immer weniger in die Kassen. Aber er hatte die Knechtschaft unter schwachsinnig verblödeten und darum sadistischen Chefs gegen eine Knechtschaft unter seine eigenen Ängste ausgetauscht. Diese Entscheidung zwang ihn zum Nachdenken und zum In-Frage-stellen.
Er entwickelte sich, dachte er, aber alles wurde sehr anstrengend.
Er versuchte sein Verhältnis zu Galeristen zu verbessern, zu denen er bisher keines gehabt hatte. Er versuchte das bei einem von der EU geförderten Coaching, bei dem es ihm wichtig war, dass es keine Therapie wurde, in Wirklichkeit war es von Anfang an eine.
Dabei fiel ihm unter anderem auf, dass er sich das Aussehen von Galeristen wie das seiner Eltern vorstellte, rätselhaft und sinnlos.
Er dachte manchmal an den Tod und traute sich nicht mit anderen darüber zu sprechen.
Wie sollte man da angemessen eintauchen, ohne anzuecken?
Entweder sie glaubten, man wolle sich umbringen oder sie fanden, man mache sich wichtig mit einem Tabuthema. Ein Testament hatte er vor einigen Jahren gemacht, es aber vor kurzem wieder zerrissen, er konnte sich niemanden vorstellen, dem ein Erbe seiner Sachen nicht wie eine Bürde erscheinen könnte. Und einen der Hauptbegünstigten hatte er bewusst aus seinem Lebensfokus entfernt.
Das Anhören trauriger Musik brachte sein Nachdenken über das Leben und den Tod zum unmittelbarsten Moment, er weinte allein für sich, ganz undifferenziert, in Gedanken an seinen eigenen Tod und das viele Pech, was er gehabt haben musste um so zu scheitern. Er ließ die Merkwürdigkeiten seines Lebens passieren und bemitleidete sich dabei hemmungslos und stets mit der Schlussfolgerung, dass er auch nicht wüsste wie es anders weitergehen müsste, aber dass es zu viele Dinge gäbe, die ihn vom Fortgehen abhielten. Dazu gehörten seine Eltern und sein Geliebter, dem er in einer weiteren Geschichte des Scheiterns, des Scheiterns in der Liebe, trotz vielfacher Unsicherheiten, ein großes Potential beimass. Er glaubte an diese Beziehung, auch wenn er schon an andere geglaubt hatte, die sich dann als Odyssee der unerfüllten Wünsche und angetanen Hässlichkeiten entpuppten. Er hatte sich vorgenommen, die Rituale, die er bei anderen lange Zeit als Lügen und Erkenntnisverhinderer wahrgenommen hatte, selbst zu bemühen. Er dachte an eine Ehe, an eine institutionalisierte Liebeserklärung. Die Familiengründung konnte er als „Homo“ und in dieser Hinsicht ebenfalls gescheiterter biologischer Mann natürlich vergessen. Aber etwas von Dauer und eigener Entwicklungsdynamik sollte möglich sein. Sein Geliebter könnte ihm dort andere, fremde Perspektiven vermitteln, die andere Wertesysteme hervorgebracht hatten.
Oder er würde es sehr bald nach dem Termin der Termine lassen und eine Verpartnerung würde das Scheitern seiner voraussichtlich letzten angeblichen Liebe, er nahm an, dass er mit vierzig Jahren und mehr kein weiteres Mal jemanden finden würde, der ihn attraktiv und liebenswert fände und dem er selber auch nur ein Quentchen wahrhaftige Gefühlswelt zugestehen wollte, nur noch perfekter und endgültiger machen, gewissermaßen ein Scheitern vor der Welt und seiner Familie. Er bedurfte eigentlich nur noch des Gesichtsverlustes vor seinen Freunden und seiner Familie. Dann würde er bereit sein abzusteigen, irgendwohin, wo man als Ausschuss der Gesellschaft landete, Obdachlosigkeit, Alkoholismus, psychische Degeneration.
Ja, so würde es sein, es müsste rasch und kaum wahrnehmbar stattfinden, schließlich blieb am Ende noch das Scheitern im Scheitern, wenn keiner es merkte und niemand Mitleid empfinden könnte und keiner sich wundern könnte, weil sich niemand darum Gedanken machen würde.
Aber da gab es ja noch die wundersame Welt der anderen, jenen, die sein Leben kreuzten und denen er Sympathie entgegenbrachte und mit denen er Dinge teilen wollte, Eindrücke, Reflexionen, Wirklichkeits- und Traumbetrachtungen, derer er selbst fähig war und welche er wegen ihrer Gleichheit oder Unterschiedlichkeit bei anderen suchte. Das ganze Universum wollte gedacht werden und jene versuchten es auch zu denken, so wie er oder anders. Leider war ein Scheitern in diesem Austausch unvermeidbar. Er wurde konfrontiert mit ihm unbekannten Bedingungen und Zwangsläufigkeiten. Jene anderen wollten ihn nicht bloß kennenlernen um etwas über sich selbst zu erfahren, nein, sie wollten ihn besitzen, wollten ihren eigenen Käfig mit ihm teilen.
Mit Verlaub, wer will das schon? Wer will schon vereinnahmt werden, wenn er bereits vereinnahmt wurde und keinerlei Potential mehr dafür vorhanden ist? Nun, alle sind egoistisch, das schien eine wünschenswerte, weil überlebensnotwendige Eigenschaft zu sein. Und alle belogen sich selbst, indem sie sich immer nur eine geschönte Wahrnehmung zumuteten. Das war selbst im Angesicht des Scheiterns zwangsläufig, die ganze nackte Wahrheit konnten die Menschen nicht ertragen, vielleicht über andere, aber nicht über sich selbst.
Anstatt sich dem Scheitern hinzugeben, begann er schon wieder Pläne zu machen gegen die ihm bekannten Gummiwände anzurennen und im bereits bekannten Ausmaß von ihnen abzuprallen, sie waren undurchdringlich, die Wände zu Ausstellungen, Stipendien und Kunstpreisen, die Wände zu Anerkennung, Rezeption und Würde.
Die, welche behaupteten, dass sie ihn besonders in ihr Herz geschlossen hätten, wo wir wieder im Bild des eigenen oder fremden Käfigs waren, wollten ihm manchmal beim Anrennen gegen diese Wiederstände helfen, weil sie annahmen, dass er oder seine Arbeit es wert waren, befördert zu werden. Ein eher romantischer Impuls brachte sie so weit, ihn bei anderen, nur ihnen zugänglichen Eingangstüren anzumelden, damit er weiter gehen können möge und ihren Eindruck bestätige, er hätte tatsächlich Talent und dies würde auch wahrnehmbar sein …
Jedoch verliefen diese Beförderungen niemals bedingungslos und dies störte ihn zunächst nicht, warum auch, hatte er nicht viel zu geben, konnte er nicht nett sein, Geschenke machen und einfach Glück verbreiten?
Ja, das konnte und wollte er. Aber sie wollten mehr von ihm, sie wollten mit ihm die Dinge verändern, die sie selbst nicht in den Griff bekam. Er wurde für das Scheitern der Anderen instrumentalisiert. Das war sein Tribut für ihre Liebe und ihr Bemühen ihn zu unterstützen und damit sei eigenes Scheitern abzumildern.

Um seinen Körper zu trainieren pflegte er über Jahre Sportstudios aufzusuchen und sich dort dem Training seiner Kondition und seiner Muskulatur zu widmen. Es war das konzentrierte Umgehen mit dem eigenen Körper, welches ihn zu sich selbst brachte, die Konzentration auf das vegetative System, die Schmerzen beim Ausreizen der Belastungsgrenzen. Er liebte sich selbst am meisten und was lag da näher, als seinen Körper begehrenswert zu machen, ihn zu verändern und davon zu profitieren, wenn eine plötzliche Endorphinausschüttung alle Sorgen vertrieb und er aus dem Fenster schauen konnte, sich den Schweiß abwischte und dachte: „Alles wird gut werden!“ Ein Zustand, der selbstredend nicht von Dauer war, aber sich wiederholen ließ.
Seine Knie verziehen ihm sein regelmässiges Joggern durch den Park nicht. Das Laufen war eine passable Möglichkeit an die Luft zu kommen und den Körper auf 100 % Leistung zu bringen, das Ermüden danach kam wie eine Belohnung: „Du hast dich angestrengt, deshalb darfst du nun ruhen“. Ein einfacher Mechanismus, der offenbar scheitern musste, wenn er an seine Knie OP dachte, bei der er dem Chirurgen auf einem Monitor zuschauen konnte, wie er eine Schlaufe um seinen gerissen Meniskus legte. Was danach kam war entsetzlich und er hatte solche Schmerzen bisher nur ein einziges anderes Mal kurzzeitig erlebt, der Eingriff verschlimmerte sein Leiden deutlich und er konnte nach der durchschnittlichen Rekonvaleszenzdauer nicht mehr so laufen wie vor dem Eingriff, nein, es war schmerzhafter geworden. Er machte einen Anlauf in einem medizinisch ausgerichteten Sportstudio. Am Anfang dachte er, es würde ihm helfen, aber nach einiger Zeit bemerkte er, dass es ihm weder half, noch entspannte. Im Gegenteil, das präzise Notieren seiner Trainingsergebnisse machte ihn traurig, weil er einsah, dass er mit diesem System niemals mehr unbeschwert Sport machen konnte. Er saß auf den Maschinen, wie ein Tier im Versuchslabor und die aufgesetzte Freundlichkeit des Personals erinnerte ihn mehr an eine totalitäre Diktatur als an eine überzeugendes Dienstleistungsunternehmen.
Er war umgeben von unglücklichen Menschen, die schmerzende Körper hatten und schnell wieder aus den Exerzitien entlassen werden wollten. Die körperbezogenen Handlungen wirkten hier nicht erregenden, sondern beklemmend.
Außerdem bemerkte er, dass sich sein Zeitempfinden, seitdem er ausschließlich freiberuflich arbeitete, verändert hatte. Er wollte sich nicht mehr einfach nur noch Entspannen, seine Tage kamen ihm viel zu kurz zum Leben vor und er konnte sich nicht aufraffen zu Dingen, die er früher ohne ein Bedenken für gut erachtete. Jetzt wollte er alles auskosten, besonders sich selbst, das Dasein, das Nachdenken und das zwangsläufige 
Scheitern. Er wollte sich immer wieder neu zusammen setzen, auch wenn er wusste, das dies ein endlicher Vorgang war. Er musste versuchen Geld zu verdienen und das war recht kompliziert. Komplizierter, als er dachte
Das abgeschnittene Ohr, welches er auf sein T-Shirt drucken wollte, gab ein gutes Bild für seinen Zustand ab. Er war sowohl geistig, als auch körperlich verletzt und konnte damit doch ruhig und konzentriert umgehen. Die Reminiszenz an das völlige Scheitern eines Künstlers, der in seinem Werk erst posthum grenzenlose Anerkennung erfahren hatte, wurde ihm zum Sinnbild einer vagen Hoffnung. Schließlich war alles im Leben vage.

Hagen Rehborn © 2007