Sonntag, 25. März 2007
Erfahrung ist fast immer eine Parodie auf die Idee.
Ich hatte zunächst ein wenig Bedenkzeit nötig, um dann festzustellen: man sollte Chancen nutzen, die sich so einfach ohne absehbare Wiederstände auftuen. Ich kümmerte mich also um Kopien meiner Studienabschlüsse und sendete diese mit meinem Lebenslauf und einem formlosen Anschreiben an die Bezirksregierung Düsseldorf. Der Eingang meiner Bitte um Anerkennung meiner Abschlüsse wurde recht schnell per E-Mail Bestätigt. Man teilte mir allerdings auch mit, dass die Bearbeitung sich noch in die Länge ziehen könne, da es derzeit eine ganze Menge gleicher Anfragen gäbe.
Nach sechs Monaten fragte ich per E-Mail erneut freundlich an und man erklärte mir, dass in meinem Fall keinerlei Dringlichkeit vorläge, da ich ja schließlich bisher keine Referendariatsstelle angestrebt hätte und es nur in einem solchen Falle zu einer „beschleunigten“ Bearbeitung kommen könne. Nach weiteren 6 Monaten wurde mir ein Fragebogen zugeschickt, in dem ich mein bereits formlos vor einem Jahr formuliertes Ansinnen nach einer Lehramtsbefähigung für Gesamtschulen und Gymnasien als Sonderfall im Mangelfach Kunst in NRW per Kreuzchen bestätigen musste und bitte einen Lebenslauf beilegen möge. Nach recht kurzer Zeit, (nicht mehr als zwei Wochen) teilte man mir mit, dass nun das Prüfungsamt Paderborn mit der Anerkennung meiner Abschlüsse betraut sei. Von da bekam ich dann auch recht schnell Post. Der verantwortliche Beamte teilte mir freundlich mit, dass er zur Beurteilung der Breite meines Studiums an der Kunstakademie Düsseldorf und der Kunsthochschule in Utrecht Belege benötige, die diese Breite meines Studiums belegen würden. Des weiteren benötige er einen Lebenslauf, welcher dokumentiere, was ich seit meinem Studium beruflich getan hätte. Nun, ich war, bin und werde wohl Künstler sein.
Nach kurzem Zögern und dem Abwägen des Aufwandes, begann ich meine alten Studienbelege, Studienbücher und Semiarscheine herauszusuchen. Glücklicherweise befand sich alles in einem Karton, so dass ich außerdem auch mein geisteswissenschaftliches Studium, welches ich vor der Erkenntnis „Ich will Künstler sein“ an mein Abitur und den nachfolgenden Zivildienst angeschlossen hatte, in seiner vollen Breite dokumentieren konnte. Ich stellte alle besuchten Seminare und Vorlesungen zusammen und fügte diesem mehrseitigen Dokument eine ziemliche Menge von Fotokopien der bestehenden Belege bei. Das Zusammentragen der notwendigen Informationen führte mich auch nach Düsseldorf, ein Ort an dem ich nie gewohnte habe, als ich noch seine Akademie besuchte, um nicht durch die sozialen Zwänge der Akademie-Peergroup als Persönlichkeit entwertet zu werden, den ich aber nun in jeder anderen Hinsicht als äußerst reizend und angenehm empfinde. Wo gibt es so viel Bürgerlichkeit gepaart mit so viel Kunstinteresse? Wo sind die Parks so sauber und die Geschäfte so üppig, bei vergleichsweise geringen Mieten? Wo gibt es so viel gutes Theater, aktuelle Ausstellungen und ernst zunehmende Oper auf eine derart geringe Einwohnerzahl? Jedenfalls nicht in Köln…, trotzdem lebe ich dort, wo das Mittelmaß alles erstickt und man sich darüber freuen würde, wenn die Stadtplanung der letzten 20 Jahre mit einem heiser gebrüllten „Alaaf“ in einem neuen, unnützen U-Bahnschacht mitsamt den dafür Verantwortlichen versinken würde…
Mit einem fröhlichen „Helau“ auf den Lippen und nach einem kurzen Verweilen in der Bibliothek der Kunstakademie Düsseldorf zwecks Zusammenstellung der tatsächlich besuchten Vorlesungen zwischen 1993 und 1996, lag es nahe, eine Ausstellung in der Landeshauptstadt zu besuchen und was lag da auch räumlich näher, als dem Mann im gelben Bademantel eine Aufwartung zu machen, dem „späten Picasso und seinen Frauenbildnissen“, dem sogenannten Malen gegen den unausweichlichen Tod.
Ich für meinen Teil finde es eher entwürdigend einen ältlichen, dickbäuchigen, mit schütterem Haar versehenen und sehr kleinen Mann, der alles in allem an einen grimmig dreinschauenden mediterranen Gastarbeiter in Deutschland erinnert und in Wirklichkeit der berühmteste Maler des 20igsten Jahrhunderts überhaupt sein soll, in Überlebensgröße, gekleidet in einen gelblichen Bademantel, abzubilden, um auf die Ausstellung seines Spätwerkes hinzuweisen. Aber wahrscheinlich auch nur, weil ich mir in der derzeitigen Situation nicht vorstellen kann überhaupt jemals in Überlebensgröße auf einem Museumsbau abgebildet zu sein... Sollte ich entgegen aller Unwahrscheinlichkeit zukünftig doch einmal an einer Museumsaußenfläche abgebildet werden, bitte, bitte nicht in einen meinen Bademantel gehüllt.... Jedoch, sollte ich wie Picasso dann breits verstorben sein und mich nicht mehr selbst wehren können, so wäre diese Geste einzig als späte Rache meiner Hinterbliebenen und Nachlassverwalter zu werten, was durchaus geradlinig auf die Gefühle der in dieser Ausstellung portraitierten und abgebildeten Zeitgenossinnen Picassos verweisen könnte…
Kennt man das Werk des „großen Spaniers“ einigermaßen, so ist man durchaus vorbereitet auf kräftige, gestische und teilweise recht schnell dahin gemalte, großformatige Bilder, bei denen von Zeit zur Zeit schon die Frage nach einer gewissen Nachlässigkeit und Willkür in der Machart auftreten könnte. Diese Art des „Malschwein seins“ zieht sich durch alle seine Schaffensphasen und kann somit als künstlerisches Erkennungsmerkmal dienen. Wer sonst hat sich so etwas auch schon mit Erfolg über einen so langen Zeitraum geleistet. Und wer schon einmal in Barcelona war und seine unsäglichen und allenfalls als ironisierenden Reflex auf das „Alles geht, wenn man sich durchgesetzt hat“ zu bewertenden Taubenbilder gesehen hat oder die angeblich berühmten Reflektionen zu Velasques ertragen musste, der sollte meinen er sei allem, was sich im Spätwerk entbergen könnte gewachsen. Auch wird man sich dann nicht über Frauenbildnisse im Stile der berühmten Portraits einer Dora Maar wundern und überhaupt damit rechnen auf eine Menge unverzeihlich sexistischer und frauenfeindlicher Werke zu stoßen, welche in der Kritik wundersamerweise stets als von der Liebe zu den Frauen beseelt beschrieben werden und somit immer unangreifbar für berechtigte Fragen zur Entwürdigung des weiblichen Geschlechts dastehen. Schließlich handelt es sich um Ikonen der modernen Malerei. Zeichnen sie das perspektivisch verzerrte Gesicht einer Frau im Halbprofil mit neben- oder übereinanderliegenden Augen auf einen Notitzblock, jeder Leie wird sofort an Picasso denken. Wahrscheinlich der größte Wiedererkennungsfaktor, den ein Künstler des 20igsten Jahrhunderts mit einer neuen Darstellungsweise des Menschen oder besser „der Frau“ erlangt hat.
Steht man schließlich in den Ausstellungsräumen der Kunstsammlung NRW, nun für die einfachen Gemüter nur noch K 20 genannt, so ist jegliches Vorbereitetsein reine Makulatur. Großformatige Frauenportaits, liegend, schwebend, sitzend, sich krampfend, stets in brachialischer Art starr, verzerrt, allenfalls dümmlich und verdutzt dreinschauend, deren Körper aussehen, wie mit dem Elektroschocker behandelt, steif auf dem Boden sich streckend, wie in einem unsensibel reduzierten Spasmus. Personen, die nebeneinander stehen, aber in keine wahrnehmbare körperliche Interaktion treten. Männer als Beiwerk, meist einfach neben den Dingen stehend, Bartträger, die irgendwie zu einer Party mit vielen nackten Frauen geladen haben, oder einfach mal in einem Harem vorbeischauen.
Frauen, Frauen, Frauen, wallende Haare, immer wieder weibliche Geschlechtsteile, die dem Betrachter zugewandt sind, gespreitzte Beine, als Selbstaussage einigermaßen überschaubar: das ist ein Geschlechtsteil, das ist eine Vagina. Die Erstarrung, die Statuenhaftigkeit überall. Dazu Rahmen, wie aus Côte d‘ Azur Villen der Sechziger Jahre. Bilder die in frühen Louis Defunès Filmen nur einem Zweck gedient hätten, Inneneinrichtung für versnobte Neureichenvillen abzugeben. Repräsentation einer Allegorie dessen, was man sich unter der modernen Malerei in einer bestimmten Gesellschaftsschicht so vorstellte, die Verbindung eines patrirchalischen Sexismus mit gestischer, pastoser und sehr flüchtiger Maltechnik. Bei den Druckgrafiken auf Papier, ähnliche Sujets, sensibler gelöst und trotzdem so schnell überschaubar, dass nur Ernüchterung bleiben kann.
Wer braucht Picassos Spätwerk? Bei zehn Euro Eintritt pro Person allenfalls das Museum selbst, die Ausstellung ist wie gehabt als Großevent geplant, es gibt Sonderkassenkontainer vor dem Haupteingang, Audioführer und Sonderprospekte, die schön viel Geld kosten.
Im letzten Raum der Sonderaustellung angekommen, weiß man, dass man etwas für sein Geld bekommen hat, jedenfalls quantitativ, die nicht enden wollende Flut von immer gleich mittelmäßigen Bildern erstreckt sich auch noch auf die Etage der ständigen Sammlung. Man glaubt es kaum, es kommt immer noch ein weiteres Kabinett voller Bilder, die nicht besser werden wollen. Interessant ist dann der Übergang in die ständige Sammlung. Gerhard Richter Bilder offenbaren sich geradezu als Erlösung. Klarheit und Abstraktion haben noch nie so punkten können, wie nach dieser Tortur durch den angestaubten Trieb eines alten, anscheinend ständig angegeilten Mannes. Plötzlich ist einem auf wundersame Weise klar, warum Malerei von Gerhard Richter so begehrt ist, wenn seine Bilder an der richtigen Stelle hängen, dann eröffnen sie geradezu Horizonte der Glückseligkeit.
Beim Verlassen der Kunstsammlung über den kleinen Kleeplatz kommt es dann zu einer echten Konfrontation mit der Realität. Bagger, die an dieser Stelle anscheinend die Baugrube für einen Erweiterungsanbau der Kunstsammlung ausheben, werden vom Lärm zweier Kettensägen übertönt, die in rasender Geschwindigkeit die noch recht jungen Keulenplatanen der Natursteinsitzplatzanlage niedermähen. Wieso müssen diese Bäume zur besten Verpflanzungszeit abgesägt werden, wo ein Umpflanzen denkbar einfach und sinnvoll gewesen wäre. Sehr wahrscheinlich hätten sogar Privatleute die Bäume gekauft und den Transport gerne bezahlt und oder Landschaftskünstler eine sinnvolle Verwendung dafür gefunden, die man sicherlich durch die Kunstsammlung hätte finanziell fördern können. Dazu gehört dann allerdings etwas Planung und ein Aufruf in der örtlichen Presse und Sensibilität für die wesentlichen Dinge. Sollte den Bauverantwortlichen im Jahre 2007 nicht langsam klar sein, dass öffentliche Räume und deren Bebauung, besonders das Konstruieren von Kunsträumen ganzheitlich angegangen werden muss. Wer würde es nicht als Wiederspruch empfinden, wenn man, um Kunst zeigen zu können, unnützerweise Bäume fällen lässt. Aber nein, schnell mal unumkehrbare Tatsachen schaffen, abgehackte Bäume sind eine endgültige Lösung, man befindet sich abrupt wieder in der Stimmungslage, in die man beim Betrachten zu vieler schlechter Picassos geraten war. Verstümmelung, Reduktion auf Unwesentliches, Unfruchtbarkeit trotz hoher Produktionsmengen. Vielleicht sollte ich ja doch von Zeit zur Zeit meinem kunstpädagogischen Bestrebungen nachgeben, falls das Prüfungsamt Paderborn irgendwann einmal meine grundsätzliche Lehrbefähigung in der Breite meines Studiums gefunden haben sollte.