Dienstag, 23. Januar 2007
Kunstakademie Quickguide 1
Bildende Künstler treten in der deutschen Mediengesellschaft allenfalls in Fachpublikationen auf und auch dort geben sie so gut wie gar nichts von ihrer Lebensrealität preis, wird die Künstlerpersönlichkeit doch zu Recht oder Unrecht stets zugunsten des Werkes vernachlässigt, da diese anscheinend einzig das darstellt, was eine interessierte Öffentlichkeit rezipieren möchte. Ausnahmen sind Berühmtheiten, deren Namen jeder kennt und die sich als Pop Ikonen in das Bewusstsein großer Teile der Bevölkerung eingegraben haben, nachdem auch die Boulevardpresse und das Fernsehen sich ihrer angenommen haben, dabei ist es dann aber gemeinhin unerheblich ob es nun gerade Künstler, Angehörige des europäischen Hochadels oder singende Versager sind. Pop gleich populär eben. Bei derzeit lebenden „bekannten“ Künstlern ist es allerdings auch fraglich, wer sie bei einer unrepräsentativen Befragung in der Fußgängerzone dem Namen nach kennen würde. Wer kennt die teuersten lebenden Maler, allesamt Deutsche...?
Nun, zugegebenermaßen denken Menschen bei Fußgängerzonenbefragungen auch, dass Popcorn auf Bäumen wächst und dass Nudeln im Frühjahr auf dem Feld ausgesäht werden...
Im Verhälnis zur Gesamtbevölkerung ist die Zahl der studierten Künstler wahrscheinlich sehr gering und auch die Anzahl der derzeit aktiv dort Studierenden, im Verhältnis zur Gesamtzahl der bundesdeutschen Studentenzahlen, eine Marginalie.
Wie wird man denn Kunststudent?
Man überlegt sich klassischerweise nach Erreichung der allgemeinen Hochschulreife, eine Mappe zusammenzustellen, in der man sein bisheriges künstlerisches Schaffen, schließlich hat man schon als Dreijähriger vielversprechende und von den Anverwandten mit Staunen kommentierte Werke vorzuweisen, dokumentiert. Oder aber man erstellt eine Mappe gänzlich neu, nur um des Zwecks der Bewerbung um einen der raren Kunststudienplätze. Theoretisch ist es auch möglich ohne Abitur an einer Kunstakademie angenommen zu werden, dort gelten die gleichen Regeln wie an den Konservatorien oder Musikhochschulen, wenn man über eine außerordentliche künstlerische Hochbegabung verfügt, geht es schon ab dem sechzehnten Lebensjahr und dann ist die Vorbildung unerheblich, das sind allerdings große Ausnahmen. Wer ist schon hochbegabt?
Besagte Mappe hat je nach Hochschule eine bestimmte maximale Größe und einen maximalen Umfang, die Angaben entnimmt man den Bewerbungsbedingungen.
Welche Mappen genug künstlerische Begabung dokumentieren, ohne eine künstlerische Weiterentwicklung auszuschließen, ist eine Wissenschaft an der viele Menschen Geld und ein fragwürdiges Prestige verdienen, in dem sie willigen Jungkünstlern bei der Erstellung einer Mappe und deren Inhalts gegen Geld behilflich sind. Dies geschieht in sogenannten Mappenvorbereitungskursen, die in den Städten, welche über eine Akademie verfügen, gerne und häufiger angeboten werden. Man versucht den Interessierten dort zu erklären, wie sie das Unmögliche bewerkstelligen können, für einen der sehr raren Studienplätze ausgewählt zu werden.
An der Kunstakademie Düsseldorf, ihres Zeichens die deutsche Kunstakademie mit den berühmtesten Professorenkünstlern und dem berühmtesten Langzeitdirektor Markus Lüppertz, rechnet man in guten Jahren angeblich mit bis zu eintausend Mappenbewerbungen auf circa 60 bis 80 Studienplätze. Es sollen zwischen 5 und 10% der Bewerber nach Qualität der Mappensichtung angenommen werden. Da diese Mappen von einer Kommission, die aus den Professoren der Akademie zu bilden ist, alle angeschaut und beurteilt werden müssen, ergibt sich ein recht interessanter Zeitschlüssel. Nähme man an, dass die berühmten Kunstprofessoren sich eine Woche für die Mappenbetrachtung Zeit ließen und diese Woche fünfunddreißig Stunden reine Mappenbetrachtungszeit bedeuten würde, so würde nicht besonders viel Zeit für die Sichtung bleiben. Mappendaumenkino?
Jedenfalls eine Motivation, etwas einzureichen, was Aufmerksamkeit erregen könnte und dabei auf Menschen zu vertrauen, die glauben sie wüssten, was man dazu benötigt.
An der Düsseldorfer Akademie hat angeblich darüber hinaus jeder Professor die Möglichkeit mithilfe einer sogenannten Vorempfehlung einen Bewerber zu fördern und ihm damit die Aufnahme erheblich zu erleichtern, weil er bereits im Vorfeld mit ihm Kontakt hatte und sich seine künstlerischen Werkstücke anschauen konnte. Berücksichtigt man die dadurch entstandene Verringerung um wirklich frei erringbare Studienplätze, so nehmen die Chancen angenommen zu werden ziemlich ab, aber es schaffen schließlich einige die ersehnte Aufnahme. Was passiert, wenn man angenommen wird?
In Düsseldorf kommt man in die sogenannte Erprobungsstufe, in der man von Lehrbeauftragten (diese sind keine Professoren und im Zweifelsfalle auch nicht berühmt und verdienen dementsprechend viel weniger) innerhalb eines Jahres in allen möglichen künstlerischen Techniken unterrichtet wird und man genug Zeit hat soziale Kontakte unter seinesgleichen zu finden und sich zu überlegen, bei welchem Professor man denn dann später als Eleve in eine Künstlerklasse aufgenommen werden möchte.
Das heisst: möglichst schnell stilistsche Entscheidungen treffen, Kunstprofessoren nehmen in den allermeisten Fällen nur jemanden, der mindestens entfernt so arbeitet wie sie selber.
Wird man nämlich in einer Abschlussbegutachtung nicht erwählt oder hat seine Erwählung bereits zuvor mit jemandem klar gemacht, dann muss man gehen und das ganze Jahr war formal gesehen umsonst und die Mappenauswahl hat rein gar nichts gebracht, außer der Erkenntnis: Nichts gewesen außer Spesen.
Hat man es in eine der Künstlerklassen gebracht, heißt es in der sozialen Hackordnung unterkommen und von Jahr zu Jahr aufzusteigen oder im ungünstigsten Falle einfach rausgeschmissen zu werden. Das heißt dann „keine Unterschrift bekommen“ und sich damit nicht mehr für das folgende Semester rückmelden zu können. Man ist also einzig und alleine von dieser einen Unterschrift des künstlerischen Professors abhängig und zwar auf Gedeih und Verderben. Bekommt man sie nicht, hat man eine Semester Zeit sich einen neuen Professor mit einer neuen Klasse zu suchen, gelingt dies nicht, kann man ohne Abschluss und irgend etwas die Akademie verlassen. Bei besonders anwesenheitsscheuen Künstlerprofessoren und Studenten ist die Notwendigkeit Unterschriften zu verteilen und zu erhalten ein häufiger Grund um mal in Düsseldorf zu erscheinen...
Versteht man sich gut mit seinem Professor oder adaptiert seinen Stil in ungeheuerlich epigonaler Weise, dann hat man nach circa acht bis zehn Semestern die Möglichkeit von diesem zu seinem Meisterschüler ernannt zu werden, ein Dokument darüber wird einem in Düsseldorf in einer feierlichen Zeremonie verliehen, es ist ein Büttenpapier versehen mit Prägesiegeln, die an Kindergartenkartoffeldruck erinnern, von Herrn Lüppertz, wir erinnern uns, dem Direktor, designed und mit dem eventuellen Gegenwert eines Masters of Arts.
Dann hat man noch die Möglichkeit einen Akademiebrief zu machen, das ist eine etwas weniger persönliche Angelegenheit, man muss eine bestimmte Zeit bei einem Professor in der Klasse eingeschrieben sein und darf sich, nachdem man eine ganze Reihe von theoretischen Seminaren mit Erfolg und somit Scheinerwerb abgeschlossen hat, für eine Abschlussprüfung anmelden, im Gegensatz zum Meisterschüler beendet der Akademiebrief nämlich das Studium endgültig.
Danach muss man gehen und hat etwas im Gegenwert eines Diploms.
Jahre später konnte ich einmal bei der Agentur für Arbeit erfahren, wie bekannt die ersten beiden rein künstlerischen Abschlüsse sind, als man mir mitteilte, dass ich gar kein Hochschulabsolvent sein könne, da meine Abschlüsse nicht in der vorliegende Exel Liste zu finden seien. Aus diesem Grund müsse ich wohl zwangsläufig ohne anerkannten Abschluss und Ausbildung sein. Ich sei deshalb als Abiturient ohne abgeschlossen Ausbildung zu behandeln. Soll die Akademie nicht die Urmutter aller universitärer Systeme sein?
Beim Akademiebrief nimmt eine Kommission bestehend aus Theorieprofessoren (bei den Theorieprofessoren werden in Düsseldorf die erweiterten Bereiche der Sparten Kunstgeschichte, Philosophie, Pädagogik, Soziologie, Ästhetik und Psychologie abgedeckt) und Kunstprofessoren, inklusive des eigenen Professors, die Präsentation einer künstlerischen Abschlussarbeit ab. Einzig die Frage, ob das Zertifikat gewöhnlich oder mit Auszeichnung verliehen wird ist, hängt noch von der Stimmung der Kommission ab, denn es geht hier ja nicht um „etwas verstehen“ oder „etwas lösen“ oder „etwas richtig machen“, sondern einzig und alleine um etwas zu machen, was Kunst sein will und als solches erkennbar ist und von den Gremiummitgliedern persönlich und formal unterstützt werden kann.
Außerdem kann man an einer stattlichen Kunsthochschule oder Akademie Kunst als Lehramtsfach Sekundarstufe zwei studieren, man macht dann noch eine weiteres Fach an einer anderen Universität und wird irgendwann Kunstlehrer, aber nicht ohne das auch in allen anderen Bereichen notwendige zweijährige Referendariat bis zur Staatsexamen zwei Prüfung abzuleisten. Studenten mit diesem Studienziel werden erfahrungsgemäß nicht besonders ernst genommen, wer will schon Lehrer werden, wenn er in die Kunstgeschichte eingehen kann und ihm Unsterblichkeit auf dem Olymp der Genialen winkt?
Was einem während und nach des Studiums noch fehlt sind die Stipendien, welche besonders erwählten Studenten verliehen werden können. Dafür muss man sich entweder für eines bewerben oder aber sich für eines vorschlagen lassen oder sich um das Vorgeschlagen-Werden bewerben.
Es bekommen die Studenten Stipendien, welche von ihren Professoren besonders gerne gemocht werden oder die, welche wirklich Glück haben und wenn man schon so viel Glück hat, wie ein Kunststudent...
Stipendien beinhalten unterschiedliche Dinge, sie können mit einem komplett finanzierten Auslandsaufenthalt daherkommen, inklusive Unterkunft, Arbeitsräumen, monatlicher Apanage, Summen für Arbeitsmaterialien und einer Abschlussausstellung oder einfach einmalige Geldsummen in unterschiedlicher Höhe bedeuten oder nur Ausstellungsbeteiligungen bewirken oder zweckgebunden einen Katalog oder eine künstlerische Arbeit finanzieren oder sie tragen einfach eine gewisse Zeit zum Lebensunterhalt bei.
Stipendien können (müssen aber nicht) das Salz in der Kunstkarrieresuppe sein, hat man eines, kann ein weiteres bekommen und so weiter, deshalb gibt es durchaus Kunsthochschulabsolventen, die bis zu ihrem vierzigsten Lebensjahr keine müde Mark verdienen mussten, es kam immer über sie und insgesamt gib es einige Stipendien zu vergeben, da ist man schon eher eine Ausnahme, wenn man während seines Studiums keines erhalten hat, der Neid sei mein stetiger Begleiter...
Es gibt sehr unterschiedliche Angaben, wie viele Kunsthochschulabsolventen es nun in der Kunst bewerkstelligen, bzw. auch später etwas mit der Kunst im professionellen Sinne zu tun haben.
Es dürften sehr wenige sein, die in wirtschaftlicher Hinsicht ein Auskommen aus dem genossenen Studium ziehen. Man rechnet mit Zahlen im Promillebereich. Genaue Erhebungen gibt es dazu leider nicht.
Es sind aber in jedem Falle sehr sehr wenige von sehr wenigen.
Das dafür in Anspruch genommene Studium dürfte, was die Unkosten pro Student anbelangt, eines der eher kostspieligen sein. Das liegt an der Menge von Studenten pro Professor. In den Künstlerklassen befinden sich im Durchschnitt zwischen acht und dreißig Studenten je Professor und an einer Akademie wie der besagten in Düsseldorf insgesamt dürften wohl kaum mehr als achthundert gleichzeitig eingeschrieben sein. Es gibt noch anderes Personal, was man an einer Kunstakademie so benötigt, Werkstätten inklusive Werkstattleitern in den Fachbereichen Kunststoff, Metall, Holz, Stein, Keramik, Fotografie und Video, einem ganzen Stab von wissenschaftlichen Mitarbeitern, teils ebenfalls mit Professorentitel, einer Bibliothek und Archiven mit dementsprechendem Personal, Hausverwaltung, Sekretariat etc.
Tja und die meisten Materialien, aus denen dann die Kunst entsteht, müssen die Studenten aus eigener Tasche bezahlen, das heißt echten Masochismus leben.
Wie schön, dass es sich unser Staat leisten kann, eine kleine, aber feine Menge unglaublich kreativer Menschen auszubilden, die im realen Arbeitsmarkt objektiv keine Verwendung für ihr Studium finden können...
Vermarktungsaspekte oder grundsätzliche Fragen nach dem „wie überlebt man mit oder trotz Kunst“ kamen während meines Studiums nirgends vor. Es gab fast ausschließlich den elfenbeinernen Turm. Lediglich die Frage „wann und wie man berühmt und reich werden würde“ war Grund für Spekulationen, dabei wäre ein Einführungsseminar mit dem Thema „wieso und wann sie als Kunsthochschulabsolvent zum Sozialfall werden könnten“ ein gute Grundlage zum weiteren Planen, schon vor dem Meisterschülerdasein...
Aber man kann nicht sagen, es hätte einen niemand gewarnt, denn die unkonstruktive Information „davon können sie im Zweifelsfall nicht leben“ begleitete einen beständig, mit Mitte Zwanzig scheint das aber eine eher marginale Bedeutung zu haben.
-to be continued-